Claudia Neumann

Abteilungsleiterin Kinder- und Jugendbeteiligung

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mit straßenspiel mehr freiräume schaffen

Temporäre Spielstraßen in Berlin

Sie war einmal Entdeckungsreservat, aufregender Spielort und Zentrum für soziale Begegnungen: die Straße. In früheren Generationen verbrachten Kinder einen Großteil ihrer Kindheit draußen. Doch zum unbekümmerten Draußenspielen bieten Wohnumgebungen heute kaum noch Möglichkeiten: Naturflächen gibt es in der Stadt immer weniger und die Straßen werden von Autos dominiert. 

Straßen begleiten uns auf all unseren Wegen. Meist werden sie von uns in erster Linie als Fahrbahnen für Autos, Busse, LKWs oder Fahrräder wahrgenommen. Fast nie assoziieren wir die Straße aber mit Menschen. Wir Menschen werden auf einen separaten Fußweg verlagert, um dem motorisierten Individualverkehr Platz zu machen. Dass die Straßen auch anders genutzt werden könnten, zum Beispiel als große Spielflächen im Freien, klingt bei unserem aktuellen Verständnis von Straßen und Verkehr innovativ, wenn nicht sogar revolutionär. Genau das ist aber die Idee von temporären Spielstraßen: Einen Ort für Alt und Jung zu schaffen, um sich zu begegnen, zu spielen und sich kennenzulernen.

Denn die Straße bietet ganz andere Möglichkeiten als ein gerätelastiger Spielplatz – etwa Platz zum Fahrrad-, Inliner- und Rollerfahren oder für Straßenspiele und Kreidebilder. Die Bedingungen für Kinder zum Draußenspielen haben sich drastisch verschlechtert: Gerade in Wohngebieten fahren Autos zu schnell oder nehmen Kindern parkend den Platz zum Spielen. Eine temporäre Spielstraße könnte das Flächendefizit zumindest teilweise ausgleichen und die Kinder zum Draußenspielen motivieren.

Konkret funktionieren temporäre Spielstraßen so, dass ein geeigneter (Neben-)Straßen-Abschnitt für mehrere Stunden oder einen ganzen Tag für den Autoverkehr gesperrt wird, um die Fläche anderweitig nutzbar zu machen. Solche Spielstraßen auf Zeit sind fast ohne Kosten realisierbar und ressourcenschonend, weil der Platz, der bereits da ist, einfach genutzt werden kann und keine Umbauten erforderlich sind. Eine temporäre Spielstraße kann jeder und jede initiieren. Sie fördert das Zusammenleben in einer Straße ungemein.

Gudvanger Straße als Treffpunkt für Jung und Alt

Die Vision des Berliner Projektes „Temporäres Spielen auf der Straße“: Einmal pro Woche von 10 bis 18 Uhr soll die Gudvanger Straße im Berliner Bezirk Pankow gesperrt werden – zum gemeinsamen Spielen und als generationsübergreifender Treffpunkt aller Anwohner/innen und Interessierten. Dieses Projekt der Drachenreiter gGmbH in Berlin förderte das Deutsche Kinderhilfswerk bereits 2015 mit 5.000 Euro.

Bereits Anfang 2015 beschloss die Bezirksverordnetenversammlung Pankow, in der Gudvanger Straße eine temporäre Spielstraße einzurichten. Doch eine Klage von Anwohnenden stoppte das Projekt bereits im ersten Sommer. Nach zweijährigem Tauziehen zwischen Anwohnenden und Bezirksamt um das Modellprojekt der temporären Spielstraße wurde ein erster Kompromiss erzielt: Im Juni 2017 gab es zwischen Bezirksamt Pankow und klagenden Anwohnenden eine außergerichtliche Einigung vor dem Verwaltungsgericht Berlin.

Die Umsetzung über den Bezirk ließ jedoch noch weitere drei Jahre auf sich warten, was nicht allein an den zwischenzeitlichen Bauarbeiten auf der Straße lag. Seit Juni 2020 ist das temporäre Straßenspiel in der Gudvanger Straße nun endlich möglich. Doch nicht nur das: Auf der Webseite des Bezirksamtes Pankow kann man nun direkt und offiziell die Einrichtung einer Temporären Spielstraße beantragen. Seit Ende Juni 2020 gibt es im Bezirk sogar eine weitere Temporäre Spielstraße: in der Templiner Straße am Teutoburger Platz.

Temporäre Spielstraße im Graefekiez seit August 2019

Im Kreuzberger Graefekiez in Berlin setzten sich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Kinder- und Schüler/innenläden ebenfalls für eine temporäre Spielstraße ein. Mit Erfolg: Seit Ende der Sommerferien 2019 ist die Böckhstraße im Graefekiez einen Nachmittag pro Woche autofrei und damit die erste dauerhaft angelegte, tatsächlich durchgeführte temporäre Spielstraße der Stadt.

In der warmen Jahreszeit können Kinder immer mittwochs von 14 bis 18 Uhr auf der Straße Fahrradfahren üben, Fangen spielen oder Kreidebilder malen. Und Erwachsene setzen sich, wenn sie Lust haben, zum Kaffeetrinken mitten auf die Fahrbahn. Ein echter Durchbruch – vor allem im Vergleich zum jahrelangen Tauziehen um die Guvanger Straße.

Mit temporären Spielstraßen bewegt durch die Coronakrise

Das große Potential, das in der Einrichtung von temporären Spielstraßen steckt, erkannte die Amtsleitung in Berlin Friedrichshain-Kreuzberg bereits vor der Coronakrise. Doch gerade in Zeiten, in denen das Spielen auf Spielplätzen, im Sportverein, auf Schulhöfen und in der Kita gar nicht oder nur eingeschränkt durch die Coronakrise möglich war, bot das Spielen auf der Straße nicht nur Abwechslung und zusätzliche Spielmöglichkeiten, sondern auch die Chance, sich mit dem gebotenen Abstand im Freien zu treffen und trotz allem dem Spiel- und Bewegungsdrang nachzugehen.

So kann es als großer Erfolg gewertet werden, dass innerhalb kürzester Zeit 19 weitere, vorrübergehend eingerichtete temporäre Spielstraßen installiert werden konnten, die jeden Sonntag zum Spiel einladen. Die Bereitschaft, als Anwohner/inneninitiative die nötige Betreuung zu gewährleisten, war überwältigend hoch. Dem Vorbild von Friedrichshain-Kreuzberg folgend, gibt es nun auch in Neukölln sechs neue, vorübergehende Projekte, weitere Bezirke wie Tempelhof-Schöneberg sind in der Überlegung oder Testphase. Als Deutsches Kinderhilfswerk hoffen wir, dass auch bundesweit noch viele weitere Projekte folgen, die auch nach der Coronakrise den Kindern das Spielen auf den Straßen ermöglichen.

Spielstraßen bereits in einigen Orten erfolgreich

In Bremen, Frankfurt am Main und London läuft das Spielen-auf-der-Straße-Konzept bereits sehr erfolgreich. Auch im hessischen Grießheim können seit 2002 Bürgerinnen und Bürger, eine Spielstraße auf Zeit beantragen, um für einige Stunden den Autoverkehr auszuschließen, sodass Kinder auf der Straße vor dem Haus ohne Angst vor Verkehr spielen können. In Stuttgart läuft seit Sommer 2018 in drei Straßen ein Spielstraßen-Pilotprojekt in Kooperation mit der Stadt und Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe.

2019: Gründung des “Bündnisses Temporäre Spielstraße”

Im März 2019 haben Mitstreiterinnen und Mitstreiter das Bündnis Temporäre Spielstraßen gegründet. Dazu zählen neben dem Deutschen Kinderhilfswerk auch der Dachverband Berliner Kinder -und Schülerläden oder der BUND. Arbeitsschwerpunkt ist Berlin, wir unterstützen aber auch dabei, das Konzept bundesweit voranzubringen. Das Bündnis will lokale Initiativen auf dem Weg zur temporären Spielstraße unterstützen. Voraussetzung ist, dass Anwohnende sich zusammentun und sie beim Bezirk beantragen. Jeder und jede kann also durch vergleichsweise wenig Aufwand dazu beitragen, für die Kinder unserer Städte viel zu bewirken.

Nach Ansicht des Deutschen Kinderhilfswerkes können temporäre Spielstraßen dafür sorgen, dass auch Kinder in dicht bebauten Innenstadtbereichen zumindest zeitweise ausreichende Bewegungs- und Freiflächen direkt in ihrem Wohn- und Lebensumfeld haben. Denn durch die ständige Verdichtung und Versiegelung unserer Städte gehen für Kinder und Jugendliche wichtige Freiflächen und Spielmöglichkeiten verloren. Studien des Deutschen Kinderhilfswerkes belegen eindeutig, dass sich eine kinderfreundliche Stadtplanung und die Möglichkeiten zum selbstbestimmten Spielen maßgeblich auf die Lebensqualität und Entwicklungschancen von Kindern auswirken. Gleichzeitig verbessert sich das soziale Klima in dem Maße, wie die Qualität des Wohnumfeldes steigt. Deshalb brauchen wir dringend eine auf Kinder bezogene Stadtentwicklungspolitik, um die Lebensqualität und die Entwicklungschancen von Kindern zu verbessern.

Das Deutsche Kinderhilfswerk fordert Kommunen und Landkreise daher dazu auf, mehr temporäre Spielstraßen einzurichten. Ein veröffentlichtes Gutachten des Wissenschaftlichen Parlamentsdienstes des Abgeordnetenhauses von Berlin legt dar, dass eine solche Einrichtung nach den derzeitigen Bestimmungen der Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) problemlos möglich ist. Initiativen von Anwohnenden, aber auch Kinder- und Jugendparlamente sind aufgefordert, entsprechende Anträge bei den Straßenverkehrsbehörden der Kommunen oder Landkreise zu stellen.

Das Gutachten kommt zu dem Schluss, dass auf Grundlage der Straßenverkehrsordnung "kein Grund" ersichtlich sei, warum man nicht eine temporäre Spielstraße einrichten könne. Dafür brauche man lediglich die Verkehrsschilder für Fahrverbote und mit ballspielendem Kind. Das Gutachten führt weiter aus, dass "die Einwirkungen auf den Verkehr hierbei wesentlich geringer sind als bei dauerhaften Spielstraßen, die mit einem zeitlich unbegrenzten Fahrverbot verbunden sind".

Temporäre Spielstraßen überzeugen auch die Politik

Die Idee der temporären Spielstraßen überzeugt aber nicht nur auf der bezirklichen Ebene: Auch die ehemalige Bundesfamilienministerin und ehemalige Regierende Bürgermeisterin von Berlin, Franziska Giffey, konnte dieser Idee viel abgewinnen und bewarb das Konzept im Rahmen der Präsentation unseres Kinderreportes 2020 zum Thema Draußenspiel ganz offensiv.

Seinem Ziel, temporäre Spielstraßen in Berlin zu etablieren, kam das Bündnis Temporäre Spielstraßen bereits zum Ende seines Gründungsjahres einen bedeutenden Schritt näher: Das Abgeordnetenhaus beschloss für den Doppelthaushalt 2020/2021 jeweils 50.000 Euro, um das Thema in der Stadt voranzutreiben. Zudem bewirbt er das Mobilitätsgesetz/die Mobilitätswende mit dem Konzept der temporären Spielstraße und bekennt sich damit ganz klar zu dieser Idee. 

Nachmacher/innen gesucht!

Wenn Sie also planen, ein Spielstraßen-Projekt zu starten – trauen Sie sich! Gerne beraten wir Sie dabei.

Wo Sie sich informieren und was Sie tun können

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