Zwischen Spielzeug, Kamera und YouTube – Wenn Kinder zu Influencer*innen werden

Beiträge von Kindern in den Sozialen Medien sind beliebt. Kanäle, auf denen Kinder Spielzeug testen oder ihre Follower*innen in ihren Alltag mitnehmen, verzeichnen hohe Klickzahlen. Oft sind es die Eltern, die diese Kanäle betreiben. Aus kinderrechtlicher Sicht ist das höchst problematisch: Durch das Zurschaustellen von Kindern im Netz werden gleich mehrere Kinderrechte verletzt. 

Kinder sind für die Werbeindustrie interessant

Seit einigen Jahren steigt die Anzahl der Kanäle in den sozialen Netzwerken – allen voran YouTube und Instagram – deutlich, in denen Kinder die Hauptrolle spielen. Nicht selten erreichen diese Kanäle so hohe Klickzahlen, dass sie für die Werbeindustrie interessant werden. So ist in den vergangenen Jahren auch in Deutschland aus anfänglichen Spielereien von Familien vor der Kamera ein eigener Wirtschaftszweig geworden: mit vermittelnden Agenturen, zahlreichen werbetreibenden Kanälen und teils eigenen Produkten. 

Wo fängt Kinderarbeit an?

Die Zusammenarbeit mit Influencer*innen ist für viele Unternehmen heutzutage höchst attraktiv. Kein Wunder: YouTube gehört bereits für Kinder ab sechs Jahren zu den beliebtesten Internetseiten. Der wachsende Erfolg und damit die immer größer werdende Öffentlichkeit für die Kanäle der jungen Protagonist*innen, haben auch das Interesse von Kinderrechtler*innen auf den Plan gerufen. Es geht um Kinderrechte, Kinderschutz, um Dimensionen von Persönlichkeitsrechtsverletzungen und Privatsphäre und um die Frage: Wo eigentlich hört der Spaß auf und fängt die Kinderarbeit an? 

Kinder haben Rechte – auch im digitalen Raum

Kinderrechte gelten auch im Internet und müssen im Umgang mit dem Phänomen der Kinderinfluencer*innen Maßstab sein. Kinder haben eine eigene Persönlichkeit. Diese muss geschützt werden. Dort, wo Kinder noch nicht selbst in der Lage sind, ihre Persönlichkeit und Identität zu schützen, ist es Aufgabe der Erwachsenen, dies in ihrem Sinne zu tun. Die UN-Kinderrechtskonvention legt hierbei einen Schwerpunkt auf die Privat- und Intimsphäre.

Millionen Menschen kennen das Kinderzimmer 

Kinder, die Hauptrollen in YouTube-Videos spielen, sind einer enormen Öffentlichkeit ausgesetzt. Es sind Menschen in Millionenzahl, die die jungen YouTube-Stars in ihrem Alltag begleiten – sie sehen, wie die Kinder frühstücken, wie sie spielen, wie sie ihre Geschenke unter dem Weihnachtsbaum auspacken. Es sind aber auch Menschen in zweistelliger Millionenzahl, die sehen, wie die Kinder aufwachen, die sie bei der Morgen- oder Abendroutine begleiten, sie sind dabei, wenn sie baden oder schwimmen gehen, sie sehen, wie sie weinen, wie sie lachen. Sie sind auch dabei, wenn die Kinder krank sind, zum Arzt müssen oder sogar, wenn sie im Krankenhaus liegen. Ohne Zweifel lässt sich quer durch verschiedenste Kanäle der Kinder-YouTubeStars von gravierenden Eingriffen in ihre Privat- bis hin zur Intimsphäre sprechen.  Auch eigentlich private Rückzugsorte der Kinder – wie ihr Kinderzimmer – werden zu Räumen, die Millionen von Menschen kennen.  

Statt Spielen heißt es: Samstag ist Drehtag

Laut Artikel 6 des Grundgesetzes ist die Erziehung eines Kindes Aufgabe seiner Eltern. Auch die UN-Kinderrechtskonvention hält in Artikel 5 die „Respektierung des Elternrechtes“ fest. Es sind in erster Linie die Eltern, die für das Wohl des Kindes, für sein gesundes und sicheres Aufwachsen, seine Erziehung und den Schutz und die Wahrung von Persönlichkeitsrechten verantwortlich sind. Schaut man sich in den Kanälen der jungen YouTube-Stars um, braucht man allerdings nicht lange, um auf ein Dilemma zu stoßen: Die Eltern sind beteiligt. Es sind in der Regel die Eltern, die den YouTube-Kanal betreiben und an vielen Stellen als treibende Kraft identifiziert werden können. 

Es sind Werbeschaltungen in YouTube-Videos, Product Placement oder Affiliate-Links und Sponsoring-Verträge, die eine ganze Familie ernähren. Und während andere Kinder mit Freund*innen spielen, ohne auf die Beleuchtungssituation der Szenerie achten zu müssen, heißt es woanders: Samstag ist Drehtag. Wenn die Existenz einer ganzen Familie an dem Willen des Kindes zum Videodreh hängt, ist die Situation kinderrechtlich mit Nachdruck inakzeptabel. 

Eltern müssen ihre Kinder schützen. Auch im Internet. 

Kinder haben ein Recht auf Freizeit und sie haben ein Recht auf Beteiligung, auf Anhörung und Berücksichtigung ihrer Meinung. Beteiligung würde hier bedeuten: Gedreht wird nur freiwillig.  Schwierig wird dies jedoch, wenn wir von der Abhängigkeit eines Kindes von seinen Eltern ausgehen, der Medien- und Religionspädagoge Roland Rosenstock spricht hier von einem emotionalen Missbrauch: Vor dem Hintergrund der völligen Abhängigkeit von seinen Eltern fügt sich das Kind, hat Angst, zu enttäuschen, spielt mit, dreht das nächste Video. 

Unsere Expert*innen klären auf

Kinder-Influencer*innen: Kinderarbeit oder Hobby? In diesem Bericht des Kanals Reporter ordnet Luise Meergangs, Abteilungsleiterin Kinderrechte und Bildung beim Deutschen Kinderhilfswerk, diese Frage aus kinderrechtlicher Sicht ein.

Aber YouTube ist doch keine Arbeit! 

Für Kinderarbeit gibt es in Deutschland eine klare gesetzliche Regelung: Kinderarbeit ist grundsätzlich verboten. Die Regelung ist im Jugendarbeitsschutzgesetz festgeschrieben. Das Gesetz sieht aber Ausnahmen vor. So gibt es Regelungen für Kinder, die bei Theaterauftritten oder Musikaufführungen „und anderen Aufführungen, bei Werbeveranstaltungen sowie bei Aufnahmen im Rundfunk (Hörfunk und Fernsehen), auf Ton- und Bildträgern sowie bei Film- und Fotoaufnahmen“ agieren. Klar geregelt sind dort einerseits der Umfang der Arbeitstätigkeit, andererseits das Verfahren. Sowohl Gewerbeaufsichtsamt als auch Jugendamt sind hier beteiligt, in der Regel unter Hinzunahme von ärztlichen und schulischen Gutachten. 

Und bei den jungen YouTube-Stars? YouTube-Filme sind doch keine Arbeit, sagen die Verteidiger*innen, die Eltern, vielleicht auch die Kinder selbst. Es mache doch Spaß, die Kinder spielen doch nur, die Kamera läuft einfach mit, das merken die gar nicht, die wollen das doch auch so gerne. Wenn dabei ein bisschen Geld verdient wird – umso besser! 

Die Behörden haben Kinderinfluencer*innen nicht auf dem Radar 

Das Deutsche Kinderhilfswerk, das sich intensiv mit Kinder-Influencer*innen befasst, definiert Kinderarbeit als wirtschaftliche Tätigkeit von Kindern. Es geht um den Moment, in dem die Betreiber*innen der Kanäle Geld für ihre Videos erhalten. Als Kind wird im Jugendarbeitsschutzgesetz definiert, „wer noch nicht 15 Jahre alt ist“. 

So klar jedoch, wie in Deutschland die rechtliche Lage im Bereich der Kinderarbeit geregelt ist, so klar haben wir insbesondere dann, wenn Kinder eben nicht bei einem TV-Sender, sondern bei einem YouTube-Kanal arbeiten, ein deutliches Umsetzungsdefizit. YouTube und seine Kanäle sind nicht als Orte von (potenzieller) Kinderarbeit bei den zuständigen Aufsichtsbehörden auf dem Radar.  Das ist fatal und keinesfalls im Sinne der Kinder, ihrer Rechte und ihres Wohls. 

Eltern fehlt es an Wissen, um Richtig und Falsch einordnen zu können 

Es ist davon auszugehen, dass Eltern von Kinder-Influencer*innen im Sinne ihrer Kinder handeln (wollen). Vielleicht geht es ihnen darum, dem Kind eine tolle Kindheit und sichere Zukunft zu ermöglichen – mit all dem Geld, was die Familie mit dem Geschäft verdient. 

Mit Sicherheit geht es den Eltern nicht darum, ihrem Kind zu schaden, seine Rechte zu beschneiden. Und doch: Sie tun es. Die Frage bleibt: Warum? Eine Studie des Deutschen Kinderhilfswerkes und der Universität zu Köln kommt zu einem naheliegenden Schluss: Eltern fehlt es an Information. Es fehlt ihnen an Wissen um ein Richtig und ein Falsch im Kontext des medialen Handelns, insbesondere dann, wenn es um die Rechte ihrer Kinder geht. Es fehlt ihnen an Medienkompetenz. 

Kinder auf Youtube: ein Sammelbecken von Rechtsverletzungen 

Kinderrechtlich betrachtet sind YouTube-Kanäle, in denen Kinderinfluencer*innen die Protagonistinnen und Protagonisten sind, ein ganzes Sammelbecken von Rechtsverletzungen. Vom starken Eingriff in die Privat- und Intimsphäre über Einschränkung des Rechts auf Freizeit und Erholung, ungenügende Umsetzung von Mitbestimmungsrechten bis hin zur wirtschaftlichen Ausbeutung der Kinder im Sinne des eigentlichen Verbotes von Kinderarbeit in Deutschland sind vielfältigste Kinderrechte von Verletzungen betroffen. Und das trifft am Ende: die Kinder. 

Letztlich steht wie so oft die Frage im Raum: In was für einer Gesellschaft wollen wir leben? Wie sollen unsere Kinder aufwachsen und wer übernimmt dafür Verantwortung? Und wie so oft kann an dieser Stelle nur dafür plädiert werden, zusammenzuarbeiten: kinderpolitische Akteur*innen, 
die sich für die Belange von Kindern einsetzen mit den Ämtern sowie mit den Anbietern der Medienplattformen. Gemeinsam muss hier genau dann für den Schutz der Kinder und ein gutes Aufwachsen in medialen Zeiten gesorgt werden, solange es Eltern (noch) nicht können.  

Ein Auszug aus „Spielst du noch oder arbeitest du schon? Ein kinderrechtlicher Beitrag zur Debatte um Kinderinfluencerinnen und -Influencer“ von Luise Meergans, Abteilungsleiterin Kinderreche und Bildung beim Deutschen Kinderhilfswerk. 

Veröffentlicht wurde der Beitrag im Dossier "Zwischen Spielzeug, Kamera und YouTube - Wenn Kinder zu Influencern (gemacht) werden". In fünf Fachbeiträgen beleuchtet das Dossier das Phänomen der Kinder-Influencer*innen. Dabei werden neben der kinderrechtlichen auch ethische, juristische und medienpädagogische Perspektiven sowie Sichtweisen aus dem Bereich Influencer-Marketing selbst beleuchtet und zusammengeführt. 

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