„Die Kinder müssen nicht die Wohnung haben oder die Eltern oder das Instrument, um bei uns mitzumachen und eigene Erfolge zu erzielen“, sagt Luise Börner, Mitinitiatorin von Musaik – Grenzenlos musizieren e.V. „Sie müssen nur regelmäßig an dem Angebot teilnehmen und zur Probe kommen.” Der Verein, der 2017 gegründet wurde, bietet etwa 100 Kindern und Jugendlichen drei Mal wöchentlich kostenfreien Musikunterricht in verschiedenen Gruppen an, zum Beispiel als Bläser oder Streicher. Bei den gemeinsamen Konzerten spielen dann alle zusammen in einem sinfonischen Orchester. Dass die Proben so häufig stattfinden, ist wichtig. Denn viele der teilnehmenden Kinder und Jugendlichen wachsen in schwierigen Verhältnissen auf und haben zu Hause keinen oder nur wenig Platz zum regelmäßigen Üben.
An der Geige macht mir schon besonders viel Spaß, dass ich das auch mit anderen zusammen machen kann, dass ich eben in einem Orchester bin und das ich das einfach spielen kann, weil das war halt schon immer mein Trauminstrument. – Klara, 9 Jahre
Einfach und niederschwellig mitmachen
Die Proben finden in Prohlis statt, einem der einkommensschwächsten Stadtteile in Dresden. Kinder, die dort aufwachsen, kommen nicht selten aus armutsbelasteten Familien. Deshalb ist es dem Projektteam, das derzeit aus 15 Personen besteht, wichtig, die Anmeldung niederschwellig zu gestalten und Kennenlern-Workshops direkt in den Schulen anzubieten. Die Kinder können dort verschiedene Instrumente testen und herausfinden, was zu ihnen passt. Eine musikalische Vorbildung oder ein eigenes Instrument brauchen sie nicht. Sie können so unabhängig von den finanziellen Möglichkeiten ihrer Familien teilhaben. Neben der musikalischen Ausbildung möchte Musaik die Kinder und Jugendlichen in verschiedenen sozialen Kompetenzen bestärken. Dafür ist ein Kompetenztraining mit einem Sozialarbeiter fester Bestandteil des Projekts geworden. Das Deutsche Kinderhilfswerk fördert dieses Training finanziell.
Die eigenen Gefühle ausdrücken
Einmal in der Woche nehmen die Kinder und Jugendlichen in ihren Gruppen am Kompetenztraining teil, das je nach Bedürfnissen und Projektphasen unterschiedlich gewichtet ist. Es gibt Spiele, bei denen sie lernen, mit anderen über ihre Gefühle zu sprechen. Wenn sie Probleme haben oder es in der Gruppe Konflikte gibt, können sie mit Hilfe des Sozialarbeiters eine Lösung erarbeiten. Das Kompetenztraining fördert Selbstbewusstsein und Zugehörigkeit, Teamgeist, Vertrauen und Toleranz. Die sozialpädagogische Arbeit ist dabei oft auch verknüpft mit den Inhalten der Musik. Auf der letzten Probenfahrt beispielsweise haben die Kinder und Jugendlichen ihre Probe einmal gemeinsam als Gruppe geleitet, anstatt wie sonst üblich der Dirigent. Im Anschluss haben sie diese Erfahrung gemeinsam mit dem Sozialarbeiter evaluiert: Wer hatte welche Rolle? Wie habt ihr euch gefühlt? Wie habt ihr euch geäußert?
Eigene Lebensrealitäten erkunden
Aktuell beschäftigen sich die Kinder und Jugendlichen in ihrer Musik mit den Themen Ankommen und Heimat. Für die Teilnehmenden, von denen etwa 60 Prozent Migrationserfahrungen haben, ist das von besonderer Bedeutung. Im diesjährigen Sommerprojekt „Between Blocks“ werden die Kinder und Jugendlichen Geschichten in ihrem Stadtteil Prohlis erkunden und diese in Zusammenarbeit mit der Sächsischen Staatskapelle Dresden musikalisch und künstlerisch zum Ausdruck bringen. Grundlage dafür soll die „West Side Story“ bilden, in der es unter anderem um Geschlechterungleichheiten, Rassismus und das Leben in Randgruppen geht. Die Kinder und Jugendlichen werden diese Geschichte auf ihrer eigene Lebensrealität in Prohlis übertragen und daraus Träume und Zukunftsvisionen entwickeln.
Mir gefallen die Konzerte gut, weil man da sehr viel Spaß haben kann. – Romeo, 11 Jahre
Konzerte als Motivation
Im Laufe des Jahres spielen die Kinder und Jugendlichen mehrere Konzerte. Luise Börner betont: „Die regelmäßigen Konzerte sind als Motivationsziele extrem wichtig, aber natürlich auch, um zu lernen: Ich habe ein Ziel, ich arbeite auf etwas hin, muss geduldig sein und Ausdauer zeigen.“ Viele Kinder, die bei Musaik mitmachen, haben in der Schule seltener Erfolgserlebnisse, weil sie zum Beispiel weniger Möglichkeiten haben als andere Kinder, etwa durch Nachhilfe gefördert zu werden. Durch das Projekt erfahren sie, wie es ist, auf der Bühne zu stehen, Applaus zu empfangen und stolz auf das zu sein, was sie zusammen auf die Beine gestellt haben. „Man spürt richtig, wie die Kinder daran wachsen“, sagt Luise Börner.
„Die Arbeit des Vereins zeigt eindringlich, wie wichtig es ist, dass alle Kinder in Deutschland eine gerechte Chance auf Bildung bekommen. Ohne das Projekt hätten viele der teilnehmenden Kinder und Jugendlichen nur schwer die Möglichkeit, ein Musikinstrument zu lernen. Der Zugang zu außerschulischer Bildung ist zentral, damit Kinder ihre Interessen und Stärken entdecken und sich weiterentwickeln können. Hier setzt der Verein an und vermittelt den Kindern über die Musik Selbstvertrauen. Die Unterstützung durch eine sozialpädagogische Fachkraft ist dabei besonders wichtig, um den Kindern den Halt zu geben, den sie in ihrem Alltag oft vermissen."
- aus der Jurybegründung