Ein Großteil der Bevölkerung in Deutschland fordert laut einer repräsentativen Umfrage für den Kinderreport 2022 des Deutschen Kinderhilfswerkes die Verankerung von Kinderrechten im Grundgesetz, um die Interessen von Kindern und Jugendlichen in Zukunft besser zu berücksichtigen. Im Sinne einer generationengerechteren Gesellschaft werden zudem mehr Kinder- und Jugendbeauftragte in Bund, Ländern und Kommunen sowie die Prüfung aller neuen gesetzlichen Maßnahmen auf ihre Kinder- und Jugendfreundlichkeit als sinnvoll angesehen. Auch die Schaffung eines Ständigen Beirats für Kinder- und Jugendbeteiligung bei der Bundesregierung, in dem auch Kinder und Jugendliche selbst vertreten sind, wird von einer großen Mehrheit favorisiert. Mehr als zwei Drittel der Befragten wünschen sich außerdem, dass alle bestehenden Gesetze daraufhin überprüft werden, ob sie kinderfreundlich sind. Eine deutliche Mehrheit unter den Kindern und Jugendlichen spricht sich zudem für eine Wahlaltersabsenkung und den Ausbau von Kinder- und Jugendparlamenten aus.
Nur eine kleine Minderheit ist der Ansicht, dass in Deutschland von der öffentlichen Hand genug investiert wird, damit Kinder und Jugendliche eine gute Zukunft haben. Investitionsbedarf wird im Bereich der öffentlichen Infrastruktur, im Bildungsbereich, bei der Digitalisierung, im Umwelt- und Klimaschutz sowie bei der Bekämpfung der Kinderarmut gesehen. Zur Finanzierung dieser Aufgaben wird vor allem eine zusätzliche Besteuerung sehr hoher Einkommen favorisiert. Das sind die zentralen Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage des Politikforschungsinstituts Kantar Public im Auftrag des Deutschen Kinderhilfswerkes für den Kinderreport 2022, den der Präsident des Deutschen Kinderhilfswerkes, Thomas Krüger, die Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, Malu Dreyer, und der Bundesgeschäftsführer des Deutschen Kinderhilfswerkes, Holger Hofmann, heute in Berlin vorstellten.
„Wir brauchen dringend mehr Maßnahmen für eine generationengerechte Gesellschaft, in der Kinder gleichwertige Lebenschancen, soziale Absicherung sowie ein nachhaltig sicheres und gesundes Umfeld vorfinden. Dabei lassen sich unterschiedliche Aspekte von Generationengerechtigkeit identifizieren, beispielsweise die gleichberechtigte Berücksichtigung der Interessen aktueller und zukünftiger Generationen oder auch ein fairer Ausgleich der Interessen aktuell älterer und jüngerer Menschen. Als Kinderrechtsorganisa-tion nehmen wir in diesem Zuge, insbesondere aber in der politischen Debatte, eine geradezu systematische Vernachlässigung der Belange junger Menschen in Deutschland wahr. Einerseits werden die Anliegen von Kindern und Jugendlichen oftmals schlichtweg ignoriert, andererseits werden ihre Interessen – selbst, wenn sie wahrgenommen werden – nur nachrangig berücksichtigt. Sollte sich dieser Trend nachhaltig bestätigen, steht unsere Gesellschaft vor einer Zerreißprobe. Denn unsere Demokratie ist abhängig davon, dass es gelingt, sowohl den Interessen aktueller Generationen als auch zukünftiger Generationen gleichermaßen gerecht zu werden“, betont Thomas Krüger, Präsident des Deutschen Kinderhilfswerkes.
„Kinder und Jugendliche haben ganz konkrete Vorstellungen von der Welt, in der sie leben wollen. Diese Welt soll nachhaltiger, inklusiver und sozialer und die Chancen für alle sollen gerechter verteilt sein. Nicht zuletzt in der Pandemie haben gerade junge Menschen ihren Beitrag für die Gemeinschaft und den Schutz vulnerabler Gruppen geleistet. Sie haben gleichzeitig kreative Wege gefunden, für ihre Themen – beispielsweise den Klimaschutz – Gehör zu finden“, erklärt Ministerpräsidentin Malu Dreyer. „Als Entscheidungs-trägerinnen und -träger in Politik, Gesellschaft und Wirtschaft stehen wir hier und heute in der Pflicht, die junge Generation in ihrer gesellschaftlichen Partizipation zu stärken und ihre Anliegen in unsere Entscheidungen einfließen zu lassen. Das macht der Kinderreport 2022 deutlich.“ Es beginne mit der Aufnahme der Kinderrechte ins Grundgesetz, die in der Verfassung von Rheinland-Pfalz bereits seit 2000 festgeschrieben sind, und reiche bis zur Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahren, um die Teilhabe junger Menschen an der politischen Willensbildung zu stärken. Es gelte aber auch für die Umsetzung der Kinderrechte in der Praxis. „Wir setzen uns in Rheinland-Pfalz für Chancengleichheit durch beitragsfreie Bildung von der Kita bis zur Hochschule ein und unterstützen Familien durch frühe Hilfen, ein Netzwerk an Familieninstitutionen und die Förderung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Die Pandemie und die Inflation belasten Familien, Kinder und Jugendliche zusätzlich. Um die Kinderarmut nachhaltig zu bekämpfen, brauchen wir eine Kindergrundsicherung. Ich begrüße es sehr, dass die Bundesregierung diese nun einführen will“, so Ministerpräsidentin Malu Dreyer.
„Es braucht eine Vielzahl politischer Initiativen und Entscheidungen für eine generationengerechte Politik für Kinder und mit Kindern. Etwa die Verankerung der Kinderrechte im Grundgesetz, mehr Kinder- und Jugendbeauftragte in Bund, Ländern und Kommunen oder eine Prüfung aller neuen gesetzlichen Maßnahmen auf ihre Kinder- und Jugendfreundlichkeit. Wir müssen mehr finanzielle Mittel als bisher für die öffentliche Infrastruktur, für die Bildung, für Klima und Umweltschutz oder die Bekämpfung der Kinderarmut in Deutschland aufbringen. Finanziert werden sollten diese Ausgaben vor allem durch eine zusätzliche Besteuerung sehr hoher Einkommen und durch Einsparungen an anderer Stelle wie Straßenbau oder Wirtschaftsförderung. Bei der Frage der Aufnahme neuer Schulden mit Blick auf die Erfordernisse zusätzlicher Staatsausgaben für eine gute Zukunft der Kinder und Jugendlichen sollte eine Haushaltsaufstellung unter dem Gesichtspunkt des Kindeswohlvorrangs die Regel werden“, so Thomas Krüger weiter.
Ausgewählte Ergebnisse der repräsentativen Umfrage für den Kinderreport 2022 im Einzelnen
Berücksichtigung der Interessen von Kindern und Jugendlichen bei politischen Entscheidungen – Status quo
Lediglich 9 Prozent der befragten Kinder und Jugendlichen geben an, dass die Politik in den letzten Jahren die Interessen von Kindern und Jugendlichen bei Entscheidungen stark berücksichtigt hat. 83 Prozent sehen das nicht so. Die befragten Erwachsenen sehen das ähnlich. Lediglich 16 Prozent der Befragten geben an, dass die Politik in den letzten Jahren die Interessen von Kindern und Jugendlichen bei Entscheidungen stark berücksichtigt hat. 79 Prozent der Befragten sind hingegen nicht dieser Auffassung.
Berücksichtigung der Interessen von Kindern und Jugendlichen bei politischen Entscheidungen – Maßnahmen zur Verbesserung
94 Prozent der befragten Kinder und Jugendlichen halten die Verankerung der Kinderrechte im Grundgesetz für sinnvoll, um die Interessen der jungen Generation zukünftig besser zu berücksichtigen, bei den Erwachsenen sind es immerhin 84 Prozent. Ebenfalls 94 Prozent der Kinder und Jugendlichen wünschen sich mehr Kinder- und Jugendbeauftragte in Bund, Ländern und Kommunen, bei den Erwachsenen sind es 80 Prozent. Als weitere wichtige Maßnahme sehen die Kinder und Jugendlichen eine Prüfung aller neuen gesetzlichen Maßnahmen auf ihre Kinder- und Jugendfreundlichkeit an. 85 Prozent sind dieser Meinung, bei den Erwachsenen sind es 76 Prozent.
Die Schaffung eines Ständiges Beirats für Kinder- und Jugendbeteiligung bei der Bundesregierung, in dem auch Kinder und Jugendliche selbst vertreten sind, erachten 80 Prozent der Kinder und Jugendlichen und 66 Prozent der Erwachsenen für sinnvoll. 76 Prozent der Kinder und Jugendlichen sehen mehr Kinder- und Jugendparlamente in den Städten und Gemeinden als sinnvolle Maßnahme an, und auch 63 Prozent der Erwachsenen sprechen sich für den Ausbau von Kinder- und Jugendparlamenten aus. 64 Prozent der Kinder und Jugendlichen sprechen sich dafür aus, dass das Wahlalter auf 16 Jahre abgesenkt wird und das Thema Politik im Schulunterricht eine größere Rolle spielt. Bei den Erwachsenen ist das Meinungsbild in dieser Frage gespalten. 49 Prozent halten die Absenkung des allgemeinen Wahlalters auf 16 Jahre in Verbindung mit mehr politischer Bildung in Schulen für eine sinnvolle Maßnahme, 50 Prozent lehnen das ab.
Ausgaben des Staates für eine gute Zukunft der Kinder und Jugendlichen
Nur 10 Prozent der Kinder und Jugendlichen sind der Ansicht, dass in Deutschland genug Geld ausgegeben wird, damit Kinder und Jugendliche eine gute Zukunft haben. Das deckt sich mit der Meinung der Erwachsenen: Nur 17 Prozent sehen das positiv.
Notwendigkeit von Ausgaben des Staates mit Blick auf zukünftige Generationen
96 Prozent der Kinder und Jugendlichen sind der Meinung, dass der Staat mehr Geld für die öffentliche Infrastruktur, beispielsweise bessere Schulgebäude und Krankenhäuser sowie bessere und günstigere Bus- und Bahnverbindungen, ausgeben sollte, damit Kinder und Jugendliche eine gute Zukunft haben. Auch für bessere Bildung und gute Schulen für alle Kinder und Jugendlichen sollte der Staat mehr Geld ausgeben. 95 Prozent der befragten Kinder und Jugendlichen sehen das so. 90 Prozent der Kinder und Jugendlichen sind der Meinung, dass der Staat mehr Geld für den Ausbau und einen besseren Zugang zum Internet sowie für den verstärkten Einsatz digitaler Medien beispielsweise in Schulen, ausgeben sollte. Dass der Staat mehr Geld für die Unterstützung von armen Kindern ausgeben sollte, meinen 89 Prozent der befragten Kinder und Jugendlichen. Und 70 Prozent der befragten Kinder und Jugendlichen sind der Ansicht, dass der Staat mehr Geld für einen stärkeren Schutz von Umwelt und Klima ausgeben sollte.
Bei den Erwachsenen würden 95 Prozent der Befragten Investitionen für eine chancengerechte Bildung begrüßen, 94 Prozent Investitionen zur Bekämpfung von Kinderarmut in Deutschland. Dass der Staat gezielt in den Umwelt- und Klimaschutz investieren sollte, finden 89 Prozent der Erwachsenen. Ebenfalls 89 Prozent würden Investitionen in die öffentliche Infrastruktur, zum Beispiel in einen kostenfreien, bedarfsgerechten Öffentlichen Personennahverkehr, mit Blick auf zukünftige Generationen begrüßen. Für Investitionen in die Digitalisierung mit Blick auf zukünftige Generationen sind 87 Prozent der Erwachsenen.
Ausgaben des Staates mit Blick auf zukünftige Generationen – Finanzierung
84 Prozent der befragten Kinder und Jugendlichen sind der Meinung, dass das Geld für zusätzliche Staatsausgaben über eine zusätzliche Besteuerung sehr hoher Einkommen kompensiert werden sollte. Rund zwei Drittel der Kinder und Jugendlichen (67 Prozent) spricht sich für die Streichung von Staatsausgaben an anderer Stelle, wie Verteidigung, Straßenbau oder Wirtschaftsförderung aus. Eine allgemeine Steuererhöhung für die Finanzierung zusätzlicher Staatsausgaben zur Kompensation gezielter Investitionen mit Blick auf zukünftige Generationen befürworten nur 17 Prozent der Kinder und Jugendlichen, 16 Prozent sprechen sich für eine höhere Schuldenaufnahme aus.
Die größte Zustimmung (78 Prozent) bei der Frage, wie zusätzliche Staatsausgaben für gezielte Investitionen mit Blick auf zukünftige Generationen kompensiert werden sollten, erhält auch bei den Erwachsenen die Möglichkeit einer zusätzlichen Besteuerung sehr hoher Einkommen. 52 Prozent sprechen sich für die Streichung von Staatsausgaben an anderer Stelle, wie Verteidigung, Straßenbau oder Wirtschaftsförderung aus. Die Möglichkeit für den Staat, zur Finanzierung gezielter Investitionen mit Blick auf zukünftige Generationen mehr Schulden aufzunehmen, befürworten nur 30 Prozent der Erwachsenen, und lediglich 28 Prozent plädieren für eine allgemeine Steuererhöhung.
Beseitigung der Kinderarmut in Deutschland – auch eine Frage der Generationengerechtigkeit
Eine sehr große Mehrheit der Kinder und Jugendlichen sieht in zu geringen Einkommen den Hauptgrund für die hohe Kinderarmutsquote in Deutschland. Insgesamt 92 Prozent sind dieser Meinung. Neben den geringen Einkommen sind 85 Prozent der Kinder und Jugendlichen der Ansicht, dass es Kinderarmut in Deutschland gibt, weil sich Politikerinnen und Politiker um dieses Problem zu wenig kümmern. 84 Prozent sind der Meinung, dass eine mangelnde Unterstützung der Alleinerziehenden, beispielsweise finanziell oder durch Kinderbetreuung, ein Grund für die Kinderarmut in Deutschland ist. Dass wirtschaftliche Gründe eine Rolle spielen und sich Deutschland mehr Unterstützung für arme Kinder nicht leisten kann, glaubt lediglich rund ein Viertel (26 Prozent).
84 Prozent der Erwachsenen sind der Meinung, dass von Armut betroffene Kinder weniger Chancen auf einen guten Bildungsabschluss haben und sich Armut dadurch fortsetzt. Nach Ansicht von 82 Prozent sind zu geringe Einkommen in Deutschland Grund für die Kinderarmut. Ebenfalls rund vier Fünftel der Erwachsenen (81 Prozent) sind der Meinung, dass eine mangelnde Unterstützung der Alleinerziehenden, beispielsweise finanziell oder durch Kinderbetreuung, ein Grund für die Kinderarmut in Deutschland ist. Dass wirtschaftliche Gründe eine Rolle spielen und sich Deutschland mehr Unterstützung für arme Kinder nicht leisten kann, glaubt nicht mal ein Drittel (30 Prozent).
Für den Kinderreport 2022 des Deutschen Kinderhilfswerkes führte das Politikforschungsinstitut Kantar Public zwei Umfragen, eine unter Kindern und Jugendlichen (10- bis 17-Jährige) und eine unter Erwachsenen (ab 18-Jährige), in Deutschland durch. Befragt wurden insgesamt 1.691 Personen, davon 645 Kinder und Jugendliche sowie 1.046 Erwachsene. Die Befragungen wurden online unter Nutzung eines Access-Panels (Kinder und Jugendliche) sowie mittels computergestützter Telefoninterviews (Erwachsene) durchgeführt. Die Fragen wurden Kindern und Jugendlichen sowie Erwachsenen gleichermaßen gestellt, allerdings wurde den Kindern und Jugendlichen ein Fragebogen mit Formulierungen vorgelegt, die der Altersgruppe angepasst worden waren. Die Fehlertoleranz der Umfrage bei den Kindern und Jugendlichen liegt mit 95-prozentiger Wahrscheinlichkeit bei unter 1,7 (bei einem Anteilswert von 5 Prozent) bzw. 4,0 Prozentpunkten (bei einem Anteilswert von 50 Prozent), die bei den Erwachsenen bei unter 1,4 (bei einem Anteilswert von 5 Prozent) bzw. 3,1 Prozentpunkten (bei einem Anteilswert von 50 Prozent).
Der Kinderreport 2022 des Deutschen Kinderhilfswerkes, die Ergebnisse der repräsentativen Umfrage für den Kinderreport 2022 und eine Zusammenfassung des Kinderreports 2022 können unter www.dkhw.de/Kinderreport2022 heruntergeladen werden.
Weitere Informationen und Rückfragen: Uwe Kamp, Pressesprecher
Telefon: 030-308693-11
Mobil: 0160-6373155
Fax: 030-2795634
Mail: presse@dkhw.de
Internet: www.dkhw.de
Facebook: www.facebook.com/dkhw.de
Twitter: @DKHW_de
Instagram: deutscheskinderhilfswerk_e.v
Das Deutsche Kinderhilfswerk e.V. setzt sich seit 50 Jahren für die Rechte von Kindern in Deutschland ein. Die Überwindung von Kinderarmut und die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen an allen sie betreffenden Angelegenheiten stehen im Mittelpunkt der Arbeit als Kinderrechtsorganisation. Der gemeinnützige Verein finanziert sich überwiegend aus privaten Spenden, dafür stehen seine Spendendosen an ca. 40.000 Standorten in Deutschland. Das Deutsche Kinderhilfswerk initiiert und unterstützt Maßnahmen und Projekte, die die Teilhabe von Kindern und Jugendlichen, unabhängig von deren Herkunft oder Aufenthaltsstatus, fördern. Die politische Lobbyarbeit wirkt auf die vollständige Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention in Deutschland hin, insbesondere im Bereich der Mitbestimmung von Kindern, ihren Interessen bei Gesetzgebungs- und Verwaltungsmaßnahmen sowie der Überwindung von Kinderarmut und gleichberechtigten gesellschaftlichen Teilhabe aller Kinder in Deutschland.