„Ich hatte das Gefühl, dass unsere Texte wirklich gehört wurden“, sagt Mine. Sie ist 16 Jahre alt und Teil des Teams hinter „Read.Write.Show“. Bei diesem Projekt organisieren Jugendliche gemeinsam mit dem Verein „jungen Stadt Köln“ Lesungen im öffentlichen Raum. Die Idee: Junge Menschen bekommen eine Bühne, um ihre selbstgeschriebenen Texte vor Publikum vorzulesen.
Vor Kurzem fand die erste Lesung in einem Café statt. „Vorher war da ganz normaler Cafébetrieb, aber die Leute sind fast alle geblieben, um uns zuzuhören“, erzählt Mine. „Das war eine ganz besondere Atmosphäre.“ Danach seien einige junge Menschen aus dem Publikum auf sie zugekommen. Sie erzählten ihr, dass sie auch einen Text haben, den sie gerne mal vorlesen würden.
Nicht viel Raum für junge Menschen in der Kulturszene
„Viele Jugendliche haben wirklich ein großes Bedürfnis danach, ihre Texte zu teilen“, sagt Chris, die sich ebenfalls im Orga-Team engagiert. Sie kümmert sich darum, die Veranstaltungen von „Read.Write.Show“ bekannt zu machen, gestaltet Flyer, Plakate und den Social-Media-Auftritt.
„Die Kulturszene ist teilweise sehr exklusiv“, findet Chris. „Es gibt nicht viel Raum für junge Menschen, um ihre Kunst zu teilen.“ Das wollen sie mit Read.Write.Show ändern. „Wir wollen eine Umgebung schaffen, in der jeder willkommen ist, um seine Stimme zu erheben und seine Geschichten zu teilen“, sagt Ilyas (17), der sich bei den Veranstaltungen um die Technik kümmert. Die jüngste Teilnehmerin bei der ersten Lesung war gerade einmal 13 Jahre alt. Alle bis 27 Jahre können mitmachen.
"Ich will so sein wie du.
Ich will leben und lachen und schreien.
Ich will beben und krachen und weinen.
Ich will lesen und wissen und sein.
Ich will singen und schwingen, meine Zeit doch ganz anders verbringen."
aus einem Text von Mine (16)
Ein Netzwerk aus Menschen, die schreiben
In ihren Texten sprechen die Jugendlichen sehr persönlich über ihre Gefühle, Erfahrungen, oder Dinge, die sie belasten. Damit sich alle auf der Bühne wohl fühlen, nehmen Mine, Chris und Ilyas vor jeder Veranstaltung Kontakt mit den Lesenden auf. Sie fragen dann zum Beispiel: Was brauchst du auf der Bühne? Möchtest du im Stehen lesen oder hättest du lieber einen Stuhl?
Auch denjenigen, die sich nicht auf die Bühne trauen, wollen sie eine Möglichkeit geben, dass ihre Texte gehört werden. „Wir hatten zum Beispiel die Idee, dass sie ihre Texte zu Hause einsprechen könnten und wir das dann bei den Veranstaltungen abspielen“, erzählt Mine. Außerdem planen sie ein Rhetorik-Training mit Schauspieler*innen, um den Lesenden mehr Sicherheit zu geben.
Die nächste Lesung plant das Team im September. Aber schon jetzt ist ein großes Netzwerk entstanden aus jungen Menschen, die schreiben, Texte teilen möchten – und einfach gerne Kunst machen.
Meine Finger kneifen in deine Rollen
Verbringst deine Abende mit Scrollen
Siehst wie du hättest aussehen sollen
Wieso würdest du du selbst sein wollen?
Aua.
aus einem Text von Chris (19)
Auszug aus der Jurybegründung
“Die eigene Perspektive und persönliche Gedanken in lyrischer Form auf die Bühne bringen und gehört werden – diese Möglichkeit bekommen häufig nur professionelle und vor allem erwachsene Akteur*innen. Das Projekt “Read. Write. Show” will diesem Umstand etwas entgegensetzen und Jugendlichen mit ihren individuellen Ansichten buchstäblich eine Stimme verleihen. Hier wird dem künstlerischen Ausdruck junger Menschen ein wichtiger Raum gegeben, um ihre Lebenswelten und ihre Sicht auf aktuelle Entwicklungen auf kreative Art und Weise zu teilen. Durch die umfassende Beteiligung der Teilnehmenden an der gesamten Organisation erfahren sie zudem Selbstwirksamkeit und eignen sich wichtige demokratische Kompetenzen an.”