Das Deutsche Kinderhilfswerk ruft die Bundesregierung beim Familiennachzug zu unbegleiteten Flüchtlingskindern in Deutschland eindringlich zu mehr Humanität auf. Die Bundesregierung sollte das Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) vom April letzten Jahres zum Anlass nehmen, beim Familiennachzug zu Flüchtlingskindern ausschließlich das Kindeswohl zum Maßstab zu machen. Das Deutsche Kinderhilfswerk fordert die Bundesregierung auf, das EuGH-Urteil bei der Entscheidung über Visaanträge zur Familienzusammenführung sofort anzuwenden und umgehend in nationales Recht umzusetzen, und damit Flüchtlinge, die während des Asylverfahrens volljährig werden und denen später die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt wird, als Minderjährige einzustufen. Nach Ansicht des Deutschen Kinderhilfswerkes verstößt die Bundesrepublik Deutschland durch die restriktiven Bestimmungen beim Familiennachzug sowohl gegen das Grundgesetz als auch gegen internationales und europäisches Recht, nämlich UN-Kinderrechtskonvention, die Europäische Menschenrechtskonvention und die EU-Familienzusammenführungsrichtlinie.
„Es ist jetzt ein Jahr her, dass der Europäische Gerichtshof in Luxemburg entschieden hat, dass ein anerkannter Flüchtling auch dann das Recht hat, seine Eltern nachzuholen, wenn er während des Asylverfahrens volljährig geworden ist und ihm später die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt wird. Deutschland hat dieses Urteil bis heute noch nicht umgesetzt und versteckt sich hinter juristischen Ausreden, dass die Entscheidung für Deutschland nicht bindend sei. Dieses Vorgehen ist kaltherzig, menschenrechtlich nicht akzeptabel und verstößt gegen Menschen- und Kinderrechte“, betont Anne Lütkes, Vizepräsidentin des Deutschen Kinderhilfswerkes.
„Auch für Flüchtlingskinder positive Urteile des Verwaltungsgerichts Berlin und des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg, die das EuGH-Urteil anwenden, haben die Bundesregierung bisher nicht zu einem Umdenken bewogen. Stattdessen spielt sie auf Zeit, wartet nach ihren Aussagen, anstatt im Sinne des Kindeswohls politisch zu handeln, auf ein höchstrichterliches Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes und hebelt das Grund- und Menschenrecht auf familiäres Zusammenleben für Flüchtlingskinder weiterhin aus“, so Lütkes weiter.
Aus Sicht des Deutschen Kinderhilfswerkes sollte sich der Familiennachzug sowohl zu anerkannten Flüchtlingskindern als auch zu subsidiär geschützten Flüchtlingskindern an Artikel 6 des Grundgesetzes, Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention sowie Artikel 3, Artikel 6, Artikel 9 und Artikel 10 der UN-Kinderrechtskonvention orientieren. Diese Rechte müssen für alle Kinder unabhängig von Herkunft und Asyl- bzw. Aufenthaltsstatus gelten. Die Bundesregierung muss anerkennen, dass Urteile des EuGH für alle Mitgliedstaaten bindend sind. Zwar erging die Entscheidung gegen die Niederlande, bietet jedoch keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass Besonderheiten des niederländischen Rechts das Recht auf den Nachzug der Eltern zu ihrem Kind nach der EU-Familienzusammenführungsrichtlinie begründeten.
Aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes aus dem Jahr 1987 ergibt sich im Hinblick auf die Dauer der Trennung von Familien, dass eine Wartezeit von drei Jahren bei Ehegatten den Rahmen der Angemessenheit weit überschreitet. Im Hinblick auf die Bedeutung des Kindeswohls dürften beim Familiennachzug zu Minderjährigen strengere Maßstäbe gelten. Demgegenüber schafft die derzeitige Rechtslage in Deutschland nicht die Voraussetzungen, die für einen humanen und beschleunigten Familiennachzug erforderlich wären und trennt Familien dauerhaft.
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