Deutsches Kinderhilfswerk: Neue Studie zu Jugendlandtagen unterstreicht Notwendigkeit der politischen Beteiligung von Kindern und Jugendlichen auf Landesebene

Das Deutsche Kinderhilfswerk plädiert für einen Ausbau der politischen Beteiligung von Kindern und Jugendlichen auf Landesebene. Dazu hat die Kinderrechtsorganisation jetzt die Broschüre „Jugendlandtage in den Bundesländern – Zwischen Dialog, Beteiligung, politischer Bildung und Nachwuchsförderung“ veröffentlicht. Viele Bundesländer verfügen über Dialog- und Beteiligungsformate der Kinder- und Jugendbeteiligung im Rahmen der Landespolitik. Die Wirksamkeit und Nachhaltigkeit dieser Formate ist allerdings bislang wenig untersucht worden. Dies war für das Deutsche Kinderhilfswerk Anlass eine Analyse dieses Angebotes an Kinder und Jugendliche in fünf Bundesländern vorzunehmen. Die Studie legt dar, welche Erwartungen die jeweiligen Veranstalter mit diesem Bildungs- und Beteiligungsformat verbinden, in welcher Weise es den beteiligten Jugendlichen ermöglicht wird, eine eigene politische Agenda zu entwickeln und auf welche Weise es zu einem Dialog mit den Abgeordneten kommt. Einen zentralen Stellenwert nimmt dabei die Perspektive der teilnehmenden Jugendlichen selbst ein.

Zu den zentralen Ergebnissen der jetzt veröffentlichen Studie im Auftrag des Deutschen Kinderhilfswerkes zählt, dass Jugendlandtage ein gut funktionierendes Format der aktivierenden politischen Bildung sein können und als verlässliches Instrument der Kinder- und Jugendbeteiligung an der Landespolitik ausgebaut werden sollten. Dabei sollte sichergestellt sein, dass die wachsende Vielfalt jugendlicher Lebenswelten sich auch in der Teilnehmerschaft der Jugendlandtage widerspiegelt. Zugleich kommt die Studie zu dem Schluss, dass Jugendlandtage nur eine Chance als anspruchsvolle und wirksame Form der Kinder- und Jugendbeteiligung haben, wenn sie nicht nur der politischen Nachwuchsförderung dienen sondern über einen guten partizipativen „Unterbau“ verfügen, der Engagement und Mitbestimmung für Kinder und Jugendliche aus unterschiedlichen Sozialmilieus ermöglicht. Dies kann entweder durch vorbereitende Regionalkonferenzen und über entsprechende Internetangebote, nachhaltiger jedoch über dauerhafte Vernetzungen zwischen lokalen und regionalen Formen der Kinder- und Jugendbeteiligung sichergestellt werden.

„Wenn Jugendlandtage primär als Nachwuchsförderung organisiert werden, wirft das aus demokratiepolitischer Perspektive gravierende Probleme auf. Hier droht ein elitär verkürztes Demokratie- und Parlamentsverständnis, demokratische Beteiligung wird etwas für die bereits politisch Aktiven. Damit besteht die Gefahr, eine ohnehin starke Tendenz in Richtung Ungleichheit in der politischen Beteiligung insgesamt, aber auch in der Beteiligung an Wahlen, in Parteien und Parlamenten zu bestätigen und perspektivisch zu verstärken. Besonders Beteiligungsangebote an junge Menschen müssen sich daran messen lassen, ob sie dazu beitragen, soziale und Bildungsbarrieren in der politischen Partizipation zu reduzieren. Jugendlandtage, die sich vorwiegend oder ausschließlich an bereits politisch aktive Jugendliche wenden, ignorieren diese Herausforderung“, sagt der Co-Autor der Studie, Prof. Dr. Roland Roth von der Hochschule Magdeburg-Stendal.

„Unsere Beobachtungen und Gespräche verweisen auf ein strukturell bedingtes Unbehagen bei vielen der beteiligten Jugendlichen, das sich aus der Verknüpfung von Formaten der politischen Bildung wie Planspielen mit dem Versprechen einer wirksamen politischen Jugendbeteiligung auf Landesebene ergibt. Zentrales Motiv für die Beteiligung ist für die Jugendlichen überwiegend nicht das Kennenlernen parlamentarischer Abläufe, sondern die Aussicht, eine eigene Agenda und gemeinsame politische Forderungen zu entwickeln, die dann im parlamentarischen Prozess aufgegriffen und nach Möglichkeit umgesetzt werden“, erklärt Udo Wenzl, Co-Autor der Studie und ehemaliger Referent für Jugendbeteiligung beim Landesjugendring Baden-Württemberg. Die Autoren schlagen vor, „dass sich die zuständigen Gremien in den Landtagen mit den von den Jugendlichen entwickelten Forderungskatalogen ernsthaft auseinandersetzen, sie nach Möglichkeit selbst hören, sich um plausible Gründe bei Nichtberücksichtigung und um eine zeitnahe Umsetzung bemühen. Die Legitimation, Akzeptanz und Überzeugungskraft von dialogorientierten Beteiligungsangeboten wie Jugendlandtagen hängt auch davon ab, dass von ihnen Wirkungen ausgehen. Auch wenn sie nicht entscheiden können, sondern Parlamente und Regierungen, legen die beteiligten Jugendlichen großen Wert darauf, dass es zumindest einige ihrer Vorschläge auf die Agenda des Parlaments schaffen und dort auch die Chance haben, umgesetzt zu werden. Die langen Bilanzlisten auf den Webseiten der Jugendparlamente sprechen eine klare Sprache.“

„Jugendlandtage sind Bildungs- und Dialogformate, bei denen Jugendliche eines Bundeslandes die Möglichkeit erhalten, den parlamentarischen Alltag kennen zu lernen und darüber hinaus – zumindest in einigen Bundesländern – ihre Themen und Anliegen, sowie ihre Sicht auf das Bundesland und dessen künftige Entwicklung den gewählten Volksvertreterinnen und Volksvertretern darzulegen und mit ihnen darüber zu debattieren. Bisher fehlte ein Gesamtüberblick über die einzelnen, durchaus unterschiedlichen Länderformate und Parlamentsangebote. Die jetzt im Auftrag des Deutschen Kinderhilfswerkes vorgelegte Studie möchte dazu beitragen, diese Lücke zu verkleinern. Sie soll Länderparlamenten und Landesjugendvertretungen, aber auch allen, die sich für Kinder- und Jugendbeteiligung einsetzen, Anregungen geben, indem sie über die Gestaltung und Resonanz von Jugenddialog-Formaten sowie über alternative Möglichkeiten auf Landesebene informiert“, betont Holger Hofmann, Bundesgeschäftsführer des Deutschen Kinderhilfswerkes.

Für die Studie haben Roland Roth und Udo Wenzl und ihr Forschungsteam die Jugendlandtage von Baden-Württemberg, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein eingehend begleitet sowie Interviews mit beteiligten Jugendlichen, Mitgliedern der Landtage und Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Parlamentsverwaltungen geführt. Jugendparlamente werden zudem in Bayern, Bremen, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt angeboten. Diese waren nicht Gegenstand eingehender Analysen. Da sich aber aus den zugänglichen Informationen über diese Jugendlandtage kein grundsätzlich anderes Bild ergibt, dürften die Ergebnisse der Studie insgesamt eine hohe Plausibilität beanspruchen können.

Die Studie „Jugendlandtage in den Bundesländern – Zwischen Dialog, Beteiligung, politischer Bildung und Nachwuchsförderung“ steht unter <link http: www.dkhw.de jugendlandtage>www.dkhw.de/jugendlandtage zum Download bereit.

Weitere Informationen und Rückfragen: Uwe Kamp, Pressesprecher
Telefon: 030-308693-11
Mobil: 0160-6373155
Fax: 030-2795634
Mail: presse@dkhw.de
Internet: www.dkhw.de
Facebook: www.facebook.com/dkhw.de
Twitter: @DKHW_de
Instagram: deutscheskinderhilfswerk_e.v

Das Deutsche Kinderhilfswerk e.V. setzt sich seit 50 Jahren für die Rechte von Kindern in Deutschland ein. Die Überwindung von Kinderarmut und die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen an allen sie betreffenden Angelegenheiten stehen im Mittelpunkt der Arbeit als Kinderrechtsorganisation. Der gemeinnützige Verein finanziert sich überwiegend aus privaten Spenden, dafür stehen seine Spendendosen an ca. 40.000 Standorten in Deutschland. Das Deutsche Kinderhilfswerk initiiert und unterstützt Maßnahmen und Projekte, die die Teilhabe von Kindern und Jugendlichen, unabhängig von deren Herkunft oder Aufenthaltsstatus, fördern. Die politische Lobbyarbeit wirkt auf die vollständige Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention in Deutschland hin, insbesondere im Bereich der Mitbestimmung von Kindern, ihren Interessen bei Gesetzgebungs- und Verwaltungsmaßnahmen sowie der Überwindung von Kinderarmut und gleichberechtigten gesellschaftlichen Teilhabe aller Kinder in Deutschland.

Diese Nachrichten könnten Sie noch interessieren

Kinderrechte

Deutsches Kinderhilfswerk begrüßt Einführung eines unabhängigen Beauftragten für Kinderrechte in Nordrhein-Westfalen

Das Deutsche Kinderhilfswerk begrüßt ausdrücklich die geplante Einführung der Stelle eines unabhängigen Beauftragten für Kinderschutz und Kinderrechte des Landes Nordrhein-Westfalen. Diese wäre aus Sicht der Kinderrechtsorganisation ein wichtiger Schritt, um die Wahrung und Förderung der Rechte von Kindern und Jugendlichen zu verbessern. Zugleich appelliert das Deutsche Kinderhilfswerk an den…

Kinderrechte

Deutsches Kinderhilfswerk begrüßt geplante Gesetzesänderungen zur Stärkung der Beteiligungsrechte für Kinder und Jugendliche im Saarland

Das Deutsche Kinderhilfswerk begrüßt die geplanten Gesetzesänderungen zur Stärkung der Beteiligungsrechte für Kinder und Jugendliche im Saarland. Mit dem neuen Saarländischen Junge-Menschen-Beteiligungsgesetz und den Änderungen im Kommunalselbstverwaltungsgesetz wird aus Sicht der Kinderrechtsorganisation eine gute Grundlage zur besseren Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention im Saarland (UN-KRK)…

Drei Vertreterinnen der drei Gewinner-Projekte halten die Trophäe des Deutschen Kinder- und Jugendpreises 2024 in die Kamera.
Kinderrechte

Deutscher Kinder- und Jugendpreis 2024: Gewinner kommen aus Berlin, Mittelherwigsdorf und Wittmund

Projekte aus Berlin-Lichtenberg, Mittelherwigsdorf (Sachsen) und Wittmund (Niedersachsen) sind mit dem Deutschen Kinder- und Jugendpreis des Deutschen Kinderhilfswerkes ausgezeichnet worden. Damit können sich die Gewinnerinnen und Gewinner über ein Preisgeld in Höhe von je 6.000 Euro freuen. Mit dem Deutschen Kinder- und Jugendpreis werden Projekte gewürdigt, bei denen Kinder und Jugendliche…