Das Deutsche Kinderhilfswerk fordert im Vorfeld der morgigen Bund-Länder-Beratungen von Bundeskanzlerin Angela Merkel und den Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten der Länder, die Perspektive von Kindern und Jugendlichen in der Debatte um die Exit-Strategien in den verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen deutlich zu stärken. Aus Sicht der Kinderrechtsorganisation ist es dazu zwingend erforderlich, bei allen Maßnahmen das Kindeswohl entsprechend der Festschreibung in Artikel 3 UN-Kinderrechtskonvention vorrangig mit abzuwägen. Das Deutsche Kinderhilfswerk fordert deshalb, politische Zugänge für die Interessen von Kindern und Jugendlichen zu schaffen: Die Perspektive von Kindern und Jugendlichen selbst und die von anderen Expertinnen und Experten, wie etwa Kinder- und Jugendärzten, Pädagoginnen, Entwicklungspsychologen oder Bildungsforscherinnen, sollten in Beratungskreisen mit einbezogen werden. Dafür braucht es aus Sicht des Deutschen Kinderhilfswerkes für die Vorbereitung der Entscheidungen von Bundesregierung und Bundesländern ein entsprechend zugeschnittenes Gremium.
„Wenn ein Großteil der Kinder nicht in die Kita oder Schule können, weder Freundinnen und Freunde treffen noch üblichen Freizeitaktivitäten nachgehen dürfen, ist dies ein schwerer Eingriff in ihre Lebenswelt, in ihre Grundrechte und die Kinderrechte auf Entwicklung, Gesundheit, Bildung und Spiel. Bei solchen Eingriffen, auch wenn es um den Gesundheitsschutz der Allgemeinheit geht, muss das Kindeswohl als ein vorrangig zu berücksichtigender Gesichtspunkt mit einbezogen und entsprechend abgewogen werden, welche Eingriffe verhältnismäßig sind und welche aufgrund ihrer negativen Folgen für Kinder und Jugendliche nicht mehr angemessen sind. Hier braucht es jetzt einen Kurswechsel, die Interessen von Kindern und Jugendlichen müssen bei den Beratungen über weitere Lockerungen des Shutdowns besonders in den Blick genommen werden“, betont Thomas Krüger, Präsident des Deutschen Kinderhilfswerkes.
„Wir erleben aktuell eine grundlegende Geringschätzung gegenüber den Bedürfnissen von Kindern. Zu oft sind Kinder einfach nur Regelungsgegenstand von Politik. Das wird sich erst ändern, wenn sie sich aktiv an politischen Entscheidungen beteiligen können, die sie selbst betreffen. Wir stellen in der jetzigen Krisensituation aber leider fest, dass beispielsweise Zugänge zu politischer Beteiligung für Kinder und Jugendliche kaum vorhanden sind und fast ausschließlich nur schmückendes Beiwerk für Schönwetterphasen zu sein scheinen. Hier wiederholt sich ein bekanntes Muster: Wenn es um Entscheidungen mit Tragweite geht, wird die Meinung der Kinder und Jugendlichen nicht berücksichtigt. Ihr Beteiligungsrecht an den politischen Entscheidungen wird derzeit schlichtweg übergangen. Hier ist eine Kehrtwende hin zu echter Mitbestimmung notwendig“, so Krüger weiter.
Aus Sicht des Deutschen Kinderhilfswerkes muss es bei den Bund-Länder-Beratungen darum gehen, sowohl Schulen als auch Kitas unter Berücksichtigung von entsprechenden Hygieneschutzregelungen schrittweise für alle Altersklassen wieder zu öffnen. Für die Schulen braucht es die schnellstmögliche Erarbeitung von konkreten Konzepten auf allen föderalen Ebenen, die neben dem Gesundheitsschutz auch soziale und kindheitspädagogische Aspekte berücksichtigen und Anregungen sowie Bedenken der Schülerinnen und Schülerinnen sowie der Fachkräfte bestmöglich mit einbeziehen. Dabei sollten nicht einseitig Kernfächer, wie Deutsch und Mathematik, in den Blick genommen werden, sondern auch andere in dieser Zeit wichtige Ausdrucksformen und Anforderungen für Kinder, wie Musik, Kunst, Sport oder Naturwissenschaften. Beachtet werden sollte auch, dass Zeit benötigt wird, um die Auswirkungen der derzeitigen Lage auf die Kinder und Jugendlichen durch die Fachkräfte aufzufangen und aufzuarbeiten. Zentral ist zudem die Sicherung regelmäßiger Schulzeit je nach Entwicklungsbedarfen der Kinder: Je jünger die Kinder, desto kürzer sollten die Intervalle sein. Bei älteren Kinder sind auch wochenweise Wechsel denkbar“, so Krüger.
„Zudem brauchen gerade Familien mit Kindern eine bundesweite Lockerung der Kontaktsperren, insbesondere Alleinerziehenden muss die Möglichkeit der Entlastung durch Tandemfamilien gegeben werden. Wir brauchen aber auch den Mut für innovative Konzepte im Bildungsbereich. Geprüft werden sollte deshalb die Erschließung zusätzlicher Räume wie Sportplätze, Spielplätze, Parks und Jugendzentren oder nicht genutzter kommerzieller Flächen wie Kinos oder Tagungszentren, um dort beispielsweise Unterricht oder frühkindliche Bildung und Betreuung durchführen zu können oder einfach im Freien zu spielen“, so Krüger abschließend.
Das Deutsche Kinderhilfswerk hat für die Kinderkommission des Deutschen Bundestages eine ausführliche kinderrechtliche Bewertung der Auswirkungen der vorgenommenen Einschränkungen in der Corona-Krise sowie deren Verhältnismäßigkeit für das Leben von Kindern und Jugendlichen erstellt. Diese Stellungnahme kann unter www.dkhw.de/stellungnahme-kiko-corona heruntergeladen werden.
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Das Deutsche Kinderhilfswerk e.V. setzt sich seit mehr als 45 Jahren für die Rechte von Kindern in Deutschland ein. Die Überwindung von Kinderarmut und die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen an allen sie betreffenden Angelegenheiten stehen im Mittelpunkt der Arbeit als Kinderrechtsorganisation. Der gemeinnützige Verein finanziert sich überwiegend aus privaten Spenden, dafür stehen seine Spendendosen an ca. 40.000 Standorten in Deutschland. Das Deutsche Kinderhilfswerk initiiert und unterstützt Maßnahmen und Projekte, die die Teilhabe von Kindern und Jugendlichen, unabhängig von deren Herkunft oder Aufenthaltsstatus, fördern. Die politische Lobbyarbeit wirkt auf die vollständige Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention in Deutschland hin, insbesondere im Bereich der Mitbestimmung von Kindern, ihren Interessen bei Gesetzgebungs- und Verwaltungsmaßnahmen sowie der Überwindung von Kinderarmut und gleichberechtigten gesellschaftlichen Teilhabe aller Kinder in Deutschland.