Deutsches Kinderhilfswerk: Bei Modernisierung des Strafverfahrens Kinderrechte stärker in den Fokus rücken

Das Deutsche Kinderhilfswerk begrüßt anlässlich der heutigen Bundestagsdebatte zur Modernisierung des Strafverfahrens das Vorhaben der Bundesregierung, die Rechte von Kindern und Jugendlichen in Justizverfahren zu stärken. Zugleich plädiert die Kinderrechtsorganisation für weitergehende Änderungen, um eine kindgerechte Justiz nach den Vorgaben der UN-Kinderrechtskonvention zu garantieren. Dafür sollte ein eigenständiges Vorrang- und Beschleunigungsgebot in Strafverfahren mit minderjährigen Opferzeuginnen und –zeugen in der Strafprozessordnung festgeschrieben werden, um dem Kindeswohlvorrang gemäß der UN-Kinderrechtskonvention in Strafverfahren Rechnung zu tragen.

Außerdem fordert das Deutsche Kinderhilfswerk eine bundesweite Verpflichtung zur Fortbildung für alle Richterinnen und Richter, die in ihren Verfahren mit Kindern zu tun haben. Dabei sollen die für den kindgerechten Umgang mit minderjährigen Opferzeuginnen und –zeugen erforderlichen Kompetenzen vermittelt werden, denn vom Verhalten der vernehmenden Richterinnen und Richter hängt entscheidend ab, wie Kinder das Verfahren erleben. Bisher gibt es eine Fortbildungspflicht lediglich in drei Bundesländern (Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt). Zudem sollten richterliche Videovernehmungen bei minderjährigen Opfern von Sexualdelikten und anderen schweren Gewalttatbeständen zum bundesdeutschen Standard werden.

„Minderjährige Opferzeuginnen und –zeugen sind besonders schutzbedürftig. Der Staat hat deshalb in besonderem Maße darauf zu achten, dass durch das Strafverfahren Kinder und Jugendliche nicht erneut zum Opfer gemacht werden. Deshalb brauchen wir ein Vorrang- und Beschleunigungsgebot, durch das die Belastungen eines Strafverfahrens so weit wie möglich minimiert werden, natürlich unter Wahrung des Rechts des oder der Angeklagten auf ein faires rechtsstaatliches Verfahren. Tatsächlich dauern viele Verfahren derzeit zu lang, nicht selten mehrere Jahre. Das muss sich ändern, auch um zu garantieren, dass kindliche Opferzeuginnen und -zeugen so früh wie nötig mit einer Therapie beginnen können. Denn davon wird während eines andauernden Strafverfahrens häufig abgeraten, um die Glaubhaftigkeit der Aussage der Zeuginnen und Zeugen nicht zu gefährden. Das aber ist ein Verstoß gegen die Kinderrechte“, betont Anne Lütkes, Vizepräsidentin des Deutschen Kinderhilfswerkes.

„Wir sehen in der Praxis, dass nur an wenigen Gerichten von der Möglichkeit der richterlichen Videovernehmung von kindlichen Opferzeuginnen und -zeugen im Ermittlungsverfahren Gebrauch gemacht wird. Es besteht mithin ein gravierendes Umsetzungsdefizit der bisher als Soll-Vorschrift ausgestalteten Regelung. Zumeist sind noch nicht einmal die technischen und räumlichen Voraussetzungen geschaffen, um eine solche Vernehmung durchzuführen. Deshalb ist es richtig und wichtig, hier eine Muss-Vorschrift zu verankern und diese auch mit entsprechenden Mitteln zu hinterlegen. Diese Muss-Vorschrift sollte sich nach Ansicht des Deutschen Kinderhilfswerkes nicht auf Sexualdelikte beschränken, sondern auch weitere schwere Gewalttatbestände umfassen“, so Lütkes weiter.

Neben der bundesweiten Verpflichtung zur Fortbildung für alle Richterinnen und Richter, die in ihren Verfahren mit Kindern zu tun haben, tritt das Deutsche Kinderhilfswerk dafür ein, Schwerpunktstaatsanwaltschaften und Schwerpunktgerichte für Jugendschutzverfahren bei der Strafjustiz zu schaffen. Denn bei mehr als 750 Amts- und Landgerichten kann nicht jede Richterin oder jeder Richter in allen Spezialgebieten zu Hause sein. Durch die Spezialisierung bestimmter Gerichte muss nicht jedes einzelne Amts- und Landgericht die Ressourcen für die Videovernehmung und die Schulungen der Richterinnen und Richter aufbringen. Daher wäre es ratsam, diese Verfahren über Gerichtsbezirksgrenzen hinweg zu konzentrieren - wie man es aus dem Wirtschaftsstrafrecht oder bei Staatsschutzsachen kennt.

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Das Deutsche Kinderhilfswerk e.V. setzt sich seit mehr als 45 Jahren für die Rechte von Kindern in Deutschland ein. Die Überwindung von Kinderarmut und die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen an allen sie betreffenden Angelegenheiten stehen im Mittelpunkt der Arbeit als Kinderrechtsorganisation. Der gemeinnützige Verein finanziert sich überwiegend aus privaten Spenden, dafür stehen seine Spendendosen an ca. 40.000 Standorten in Deutschland. Das Deutsche Kinderhilfswerk initiiert und unterstützt Maßnahmen und Projekte, die die Teilhabe von Kindern und Jugendlichen, unabhängig von deren Herkunft oder Aufenthaltsstatus, fördern. Die politische Lobbyarbeit wirkt auf die vollständige Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention in Deutschland hin, insbesondere im Bereich der Mitbestimmung von Kindern, ihren Interessen bei Gesetzgebungs- und Verwaltungsmaßnahmen sowie der Überwindung von Kinderarmut und gleichberechtigten gesellschaftlichen Teilhabe aller Kinder in Deutschland.

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