UNICEF, Deutscher Kinderschutzbund, Deutsches Kinderhilfswerk und das Bündnis für Kinder rufen mit dem „4. Forum Deutschland für Kinder“ dazu auf, Kinder besser vor Vernachlässigung zu schützen. Bund, Länder und Gemeinden müssen mehr tun, damit überforderte Familien rechtzeitig Unterstützung erhalten. Die Organisationen kritisieren, dass es nach wie vor an Angeboten zur Förderung von Kindern in schwierigen Lebenslagen und zur Beratung und Bildung für Eltern mangelt. Trotz der öffentlichen Debatte über einen „Erziehungsnotstand“ sind Erziehungsberatungsstellen in Deutschland so schlecht ausgestattet, dass Rat suchende Eltern oft mehrere Monate warten müssen.
„Verunsicherte Eltern brauchen frühzeitig Unterstützung. Es ist keine Schande, Rat zu suchen - im Gegenteil. Wir brauchen grundlegend bessere Rahmenbedingungen für Familien. Beratung und Bildung für Eltern müssen selbstverständlich dazu gehören“, sagte UNICEF-Botschafterin Sabine Christiansen. Bei dem „4. Forum Deutschland für Kinder“ diskutieren heute (Dienstag 21.10.08) in der Berliner Akademie der Künste Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen, Professor Dr. Hans Bertram, Humboldt-Universität Berlin, Professor Dr. Sigrid Tschöpe-Scheffler, FH Köln, sowie Pädagogen, Sozialarbeiter, Eltern und Kinder über geeignete Unterstützungsmaßnahmen für überforderte Familien und Perspektiven für eine familienfreundliche Gesellschaft.
Im Vorfeld des Forums hat der ARD-Kinderkanal die durchgeführt. 8.539 Kinder machten mit und stellten ihren Eltern in 16 „Fächern“ von „Liebe geben“ bis „kann für mich Vorbild sein“ überwiegend gute Zeugnisse aus. Mütter schnitten mit der Durchschnittsnote 2,4 besser ab als Väter mit durchschnittlich 2,6. Die schlechtesten Noten erhielten Eltern beim „Zeit haben“. Väter bekamen hier im Schnitt nur eine 3, Mütter eine 2,6.
„Eltern sollten sich kritisch prüfen, ob sie ihren Kindern genug Zeit widmen“, betonte Hubertus Lauer, Vizepräsident des Deutschen Kinderschutzbundes. „Als Rezept gegen den Erziehungsnotstand wird häufig ein Elternführerschein gefordert. Für alles gibt es einen Schein, ein Zeugnis, eine Qualifizierung - für den Beruf, für Hobbys, fürs Auto - nur für Kindererziehung nicht. Doch eine Prüfung allein hilft den Kindern nicht. Was sie vor allem brauchen, ist Zuwendung.“
„Kinder sind unsere Zukunft. Wir dürfen es nicht zulassen, dass Mädchen und Jungen aus sozial benachteiligten Familien ihre Zukunft ausschließlich als Bezieher von Hartz IV sehen“, so Thomas Krüger, Präsident des Deutschen Kinderhilfswerks.
Vor allem Familien mit einem geringen Einkommen sind auf eine gute Infrastruktur für Kinder angewiesen. Die Ergebnisse empirischer Untersuchungen weisen zudem darauf hin, dass frühe Förderung sich insbesondere für Kinder aus benachteiligten Familien positiv auswirkt. Doch in Westdeutschland gibt es nur für rund sechs Prozent der unter Dreijährigen Betreuungsplätze. Zwar hat die Bundesregierung das Ziel, bis 2013 für 30 Prozent der unter Dreijährigen Plätze in Kindertagestätten aufzubauen. Doch in vielen Bereichen gibt es kaum Fortschritte, vielerorts sparen Kommunen und Länder zu Lasten der Familien:
- Die Finanzierung der Erziehungs-Beratungsstellen ist in den vergangenen Jahren Schritt für Schritt zurückgefahren worden. Die Wartezeiten in Erziehungsberatungsstellen liegen bei zwei bis sechs Monaten. In einer Großstadt wie Köln muss eine Beratungsstelle 18.000,- Euro mehr jährlich durch Spenden einwerben als noch vor drei Jahren.
- Viele Modellprojekte wurden längst erfolgreich erprobt, aber die flächendeckende Umsetzung bleibt aus. So wird z.B. in Niedersachsen nur in jeder zweiten Kommune eine Familienhebamme finanziert.
Armut, Arbeitslosigkeit und mangelnde Perspektiven der Eltern verstärken die Gefahr für Kinder, vernachlässigt aufzuwachsen. Rund 2,5 Millionen Kinder unter 18 Jahren leben in Familien, deren Einkommen höchstens auf Hartz IV Niveau liegt. Kinder sind damit deutlich häufiger von Armut betroffen als Erwachsene. In Ein-Eltern-Familien wachsen sogar 35 bis 40 Prozent der Kinder in relativer Armut (Familieneinkommen unter 60 Prozent des durchschnittlichen Nettoeinkommens) auf. In Haushalten ohne einen erwerbstätigen Elternteil leben 72 Prozent der Kinder unter der Armutsgrenze. Armut bedeutet für Kinder nicht nur einen Mangel an materiellen Gütern. Viele leiden unter beengten Wohnverhältnissen. Vor allem aber haben arme Kinder häufiger als ihre Altersgenossen gesundheitliche Probleme wie Übergewicht und psychische Störungen - oft eine folge mangelnder Zuwendung. Viele verlassen die Schule ohne Abschluss, weil sie weder in der Schule noch im Elternhaus ausreichend gefördert werden. Ohnehin werden Kinder aus bildungsfernen Familien im deutschen Schulsystem deutlich benachteiligt. Internationale UNICEF-Vergleichstudien zeigen, dass in Deutschland mehr als in fast allen anderen Industrieländern die Bildungschancen der Kinder von der Situation in ihrem Elternhaus abhängen.
Damit Kinder aus benachteiligten Familien gerechte Chancen auf eine bessere Zukunft erhalten, brauchen Kinder und Eltern gezielte Unterstützung. Dabei gilt: Je früher die Hilfe einsetzt, desto kostengünstiger und wirksamer ist sie. Spät einsetzende Unterstützung ist teurer und oft weniger erfolgreich für Kinder und Familien.
- Für die frühe Prävention muss flächendeckend ein niedrigschwelliges Beratungsangebot aufgebaut werden. Mütter-Cafés, Kinderkrippen, Kindertagesstätten und Schulen sollten selbstverständlich Eltern mit einbeziehen, ihnen Gespräche und Beratung anbieten.
- Elternkurse, Elterngesprächskreise sowie Elternberatung müssen ein selbstverständlicher Teil der Elternarbeit in jeder Einrichtung und Schule sein.
- Lehrer/innen und Erzieher/innen müssen aus- oder fortgebildet werden, damit sie für familiäre Probleme sensibilisiert sind und Beratungsgespräche führen können.
- Weiterführende Beratungsangebote wie Schulsozialarbeit und spezialisierte Fachberatung müssen ausreichend zur Verfügung stehen. Dazu müssen Länder und Kommunen mehr Mittel für qualifiziertes Personal zur Verfügung stellen.
Das Forum Deutschland für Kinder wird auch auf Phönix übertragen.
Bei Rückfragen und Interviewwünschen wenden Sie sich bitte an:
UNICEF, Helga Kuhn, 0221/93650-315, www.unicef.de ,
Deutsches Kinderhilfswerk, Michael Kruse, 030/308693-11, www.dkhw.de
Deutscher Kinderschutzbund, Paula Honkanen-Schoberth, 030/2148090, www.dksb.de
Bündnis für Kinder, 0173/8642042, www.buendnis-für-kinder.de
Weitere Informationen und Rückfragen: Uwe Kamp, Pressesprecher
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Das Deutsche Kinderhilfswerk e.V. setzt sich seit 50 Jahren für die Rechte von Kindern in Deutschland ein. Die Überwindung von Kinderarmut und die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen an allen sie betreffenden Angelegenheiten stehen im Mittelpunkt der Arbeit als Kinderrechtsorganisation. Der gemeinnützige Verein finanziert sich überwiegend aus privaten Spenden, dafür stehen seine Spendendosen an ca. 40.000 Standorten in Deutschland. Das Deutsche Kinderhilfswerk initiiert und unterstützt Maßnahmen und Projekte, die die Teilhabe von Kindern und Jugendlichen, unabhängig von deren Herkunft oder Aufenthaltsstatus, fördern. Die politische Lobbyarbeit wirkt auf die vollständige Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention in Deutschland hin, insbesondere im Bereich der Mitbestimmung von Kindern, ihren Interessen bei Gesetzgebungs- und Verwaltungsmaßnahmen sowie der Überwindung von Kinderarmut und gleichberechtigten gesellschaftlichen Teilhabe aller Kinder in Deutschland.