2024 haben bei Wahlen in Deutschland so viele Menschen wie lange nicht für eine rechtspopulistische Partei gestimmt – darunter viele Jugendliche. Ist die Demokratie in Gefahr? Was können wir tun, um sie zu schützen? Darüber sprechen Jonte (17) und Tamara (16), Mitglieder in den Kinder- und Jugendbeiräten des Deutschen Kinderhilfswerkes, mit unserem Botschafter und Prinzen-Sänger Sebastian Krumbiegel.
Tamara: Ich fand es krass. Ich merke das auch in meinem eigenen Umfeld, zum Beispiel an meiner Schule, dass einige Dinge enttabuisiert wurden. Da werden wieder aus Spaß Hakenkreuze gemalt. Bei den Demos, auf denen ich unterwegs bin, sieht man immer öfter, dass Leute offen den Hitlergruß zeigen. Das sind natürlich extreme Beispiele – aber ich habe schon das Gefühl, dass die Hemmschwelle insgesamt abgenommen hat. Dass man den Rechtsruck so im eigenen Umfeld beobachten kann, finde ich heftig.
Jonte: Ich finde es auch gruselig, dass die Hemmschwelle, rechtes Gedankengut zu teilen, kleiner geworden ist – und dass Jugendliche Teil des Rechtsrucks sind. Für mich ist es schwer zu verstehen, womit die AfD Jugendliche anspricht. Ich denke, viele werden auf Social Media gecatcht von den Falschinformationen, die verbreitet werden.
Sebastian: Ja, im Netz ist die AfD gut vertreten – und sie findet den richtigen Ton. Das hat aber viel damit zu tun, dass Sachen, wie ihr sagt, wieder sagbar geworden sind. Ich habe das Gefühl, die Medien und die Politiker*innen lassen sich zu sehr von der AfD am Nasenring durch die Manege ziehen. Allein wie viele rechte Narrative aktuell verbreitet werden. Wenn Friedrich Merz zum Beispiel von “kleinen Paschas” auf Schulhöfen spricht oder davon, dass Ausländer den Deutschen die Zahnarzttermine wegnehmen, ist das für mich unverantwortlicher Wahnsinn. Und das zieht sich durch alle Parteien. Ich denke, es bringt nichts, der AfD die Sachen nachzuplappern. Aber manchmal frage ich mich doch, ob wir nicht mit denselben Waffen wie sie kämpfen sollten.
Tamara: Spannende Frage! Was die AfD macht, ist ja, einfache Botschaften zu senden. Ich persönlich finde, dass es durchaus hilfreich sein kann, sich davon etwas abzuschauen und auch TikTok und andere Kanäle zu nutzen, um leicht verständliche Botschaften unter Jugendlichen zu verbreiten – die müssen aber natürlich faktenbasiert sein. Die Alternative wäre ja, weiterhin zuzugucken und den Rechten das Feld zu überlassen. Kurze Videos funktionieren bei jungen Menschen eben. Also warum ist nur die AfD so stark auf TikTok vertreten und die demokratischen Parteien kaum?
Jonte: Ich finde es ganz schlimm, dass gerade ernsthaft vom Staat Finanzmittel für Demokratiebildung gekürzt werden. Junge Menschen müssen doch darüber aufgeklärt werden, wir dankbar wir sein können, dass wir in einer Demokratie aufwachsen und unsere Meinung frei sagen können. Ich glaube, man muss erstmal das wertschätzen, was man hat, um zu verstehen, was andere zerstören wollen. Viele Leute, auch viele junge Menschen, tun das nicht genug und das zeigt sich dann auch an den Wahlentscheidungen.
Sebastian: Wenn Gelder gekürzt werden für Bildung, wenn Gelder gekürzt werden für Kinder und Jugendliche, dann macht die Politik einen großen Fehler. Wir müssen in die Zukunft investieren: in Klimaschutz, in Bildung, in alles, was die junge Generation braucht. Gerade am Klimaschutz sieht man gut, was gerade alles schiefläuft. Christian Lindner hat mal zu Fridays for Future gesagt, sie sollen das doch den Profis überlassen. So etwas finde ich bodenlos. Die Profis kriegen das nicht hin, das erleben wir doch gerade. Ich finde, wir alle müssen dringend mehr auf die junge Generation hören.
Jonte: Ich habe mal in meinen Ferien auf Wangerooge eine Demonstration für Klimaschutz organisiert – und wurde dann dafür angefeindet. Ich habe das gemacht, um zu zeigen: Ich demonstrier‘ nicht, weil ich die Schule schwänzen will, sondern mir geht’s wirklich um was. Und das ist ja in ganz vielen Bereichen so, dass Kinder und Jugendliche gerade auch von der Politik nicht richtig ernstgenommen werden. Dadurch wird uns die Chance genommen, eine gute Zukunft auf diesem Planeten haben können.
Sebastian: Mir fällt es in letzter Zeit so schwer, meine Zuversicht zu bewahren. Es gibt so viele Kriege und Krisen wie noch nie auf der Welt, der Klimawandel schreitet weiter voran und überall gewinnen rechte Ideen. Das ist ja nicht nur die AfD und nicht nur bei uns im Osten so. Ich bin manchmal wirklich ratlos, was ich machen soll. Ich weiß nur eines: Es hat überhaupt keinen Sinn, zu verzweifeln und den Kopf in den Sand zu stecken.
Sebastian: Ich versuche immer – und das kann ich bei mir zu Hause in Sachsen vor meiner Haustür am besten machen – kleine Vereine zu unterstützen, die sich für die Demokratie und gegen Rechts engagieren. Vor den Landtagswahlen war ich viel unterwegs auf Veranstaltungen und Demonstrationen und habe versucht, lokale Initiativen zu bestärken. Damit alle sehen: Wir sind viel mehr als wir denken. Wir alle haben eine Stimme. Als jemand, der in der Öffentlichkeit steht, habe ich vielleicht eine etwas lautere Stimme als andere – und die versuche ich zu nutzen.
Jonte: Ja, man sollte seine Stimme nutzen. Rechtsextreme Menschen fühlen sich aktuell viel zu wohl, ihre Parolen zu äußern. Da müssen wir uns noch viel lauter dagegenstellen und für die Demokratie einstehen. Jeder Beitrag zählt und ist wichtig!
Tamara: Ich denke, es gibt zwei Dinge, die wir tun können: Andere über den Wert der Demokratie und die Gefahr von rechts informieren und selbst demonstrieren gehen. Mit meinem Jugendforum versuche ich, viele Leute dazu zu aktivieren. Und wenn ich eine Plattform bekomme, zum Beispiel auf Social Media Kanälen von anderen Initiativen, dann nutze ich die, um mich klar gegen Rechtsextremismus zu positionieren.
Sebastian: Ich finde es so mutig und wichtig, dass ihr das macht. Kinder haben eine Stimme – und die sollen sie nutzen können. Ihr seid das beste Beispiel dafür. Deshalb ist es mir auch so wichtig, die Kinderrechte bekannt zu machen. Alle sollen wissen, dass Kinder und Jugendliche eine Meinung und eine Stimme haben. Sie sind mächtiger als wir uns vorstellen können!
Jonte (17) ist seit 2023 Mitglied im Kinder- und Jugendbeirat des Deutschen Kinderhilfswerkes. Mit seinem Projekt „Naturschutz2Go“ setzt er sich gegen das Artensterben ein. 2022 gewann er mit dem Projekt den Deutschen Kinder- und Jugendpreis des Deutschen Kinderhilfswerkes.
Tamara (16) ist seit diesem Jahr Mitglied im Jugendbeirat der Initiative Starke Kinder- und Jugendparlamente des Deutschen Kinderhilfswerks. Als Beirätin setzt sie sich für Kinder- und Jugendparlamente in ganz Deutschland ein.
Sebastian Krumbiegel (58) wurde als Leadsänger der Band „Die Prinzen“ bekannt. Neben Auftritten mit seiner Band ist er auch als Solo-Künstler aktiv und engagiert sich mit seiner Musik bei Konzerten und Demonstrationen gegen rechts. Seit 2022 ist er Botschafter des Deutschen Kinderhilfswerkes und setzt sich in dieser Funktion vor allem für das Thema Demokratiebildung ein.