Uwe Kamp

Pressesprecher

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16.02.2022

Repräsentative Umfrage zum 50. Geburtstag des Deutschen Kinderhilfswerkes: Sinkende Kinderfreundlichkeit in Deutschland Alarmsignal für Politik und Gesellschaft

Eine repräsentative Umfrage zum 50. Geburtstag des Deutschen Kinderhilfswerkes zeigt einen deutlichen Handlungsauftrag für Politik und Gesellschaft, mehr als bisher für ein kindgerechtes Deutschland zu tun. Das fängt bei der Kinderfreundlichkeit an: Nur 48 Prozent der Befragten sind der Meinung, dass Deutschland ein kinderfreundliches Land ist. Das sind acht Prozentpunkte weniger als noch vor vier Jahren und zehn Prozentpunkte weniger als vor sieben Jahren.

92 Prozent der Befragten sehen es als sehr wichtig oder wichtig an, dass die Interessen von Kindern auch in Krisenzeiten, wie zum Beispiel während der Corona-Pandemie, berücksichtigt werden. Dass dies tatsächlich erfüllt wird, meinen hingegen nur 17 Prozent. Sehr große Diskrepanzen zwischen Anspruch und Wirklichkeit gibt es auch bei der Frage der Bekämpfung der Kinderarmut in Deutschland und beim Schutz der Kinder vor Gewalt. Außerdem sehen fast die Hälfte der Befragten Probleme bei der Umsetzung des Anspruchs auf ausreichend Spiel- und Freizeitmöglichkeiten für Kinder.

„Die Ergebnisse der Umfrage zeigen die gewaltige Aufgabe, vor der unsere Gesellschaft steht. Nicht einmal die Hälfte der Befragten hält Deutschland für ein kinderfreundliches Land. Die Zweifel an der Kinderfreundlichkeit der deutschen Gesellschaft beruhen darauf, dass alle Bereiche, die für eine kinderfreundliche Gesellschaft als wichtig erachtet werden, als defizitär eingeschätzt werden. Für eine kinderfreundlichere Gesellschaft wird vor allem mehr Aufmerksamkeit für die Interessen von Kindern auch in Krisenzeiten gefordert. Die Meinungen, was ein kinderfreundliches Deutschland ausmachen sollte und inwieweit das in der Gesellschaft erfüllt wird, gehen hier am stärksten auseinander. Zudem werden bei der Bekämpfung der Kinderarmut und beim Schutz der Kinder vor Gewalt die größten Defizite konstatiert. Hier muss die neue Bundesregierung gemeinsam mit Ländern und Kommunen die Rechte von Kindern konsequenter in den Blick nehmen. Das wäre vor allem für die Kinder in Deutschland eine längst überfällige gute Nachricht und für das Deutsche Kinderhilfswerk ein schönes Geburtstagsgeschenk“, betont Thomas Krüger, Präsident des Deutschen Kinderhilfswerkes.

„Für eine kindgerechte Gesellschaft ist neben der Politik aber immer auch die soziale Gemeinschaft verantwortlich. Denn Kinderfreundlichkeit beginnt im Alltag, beim direkten und respektvollen Umgang mit Kindern. Dieser Respekt ist in unserer Gesellschaft leider an vielen Stellen nur unzureichend vorhanden. Wir brauchen aber die gesamte Gesellschaft, damit Deutschland ein kinderfreundliches Land wird. Das Übergehen der Kinderinteressen, die Schließung von Spielstraßen, die Verwahrlosung oder der Rückbau von Kinderspielplätzen, Klagen gegen Kinderlärm oder Restaurants und Hotels, in denen Kinder keinen Zutritt haben, sind Anzeichen einer kinderentwöhnten und an manchen Stellen sogar kinderfeindlichen Gesellschaft“, so Krüger weiter.

„Wir wurden während der Corona-Pandemie leider immer wieder Zeugen einer grundlegenden Geringschätzung gegenüber den Bedürfnissen von Kindern. So wurde und wird ihr Beteiligungsrecht an politischen Entscheidungen vielfach schlichtweg übergangen. Für eine kindgerechte Gesellschaft ist es zudem wichtig, die Bekämpfung der Kinderarmut strukturell und umfassend über eine Gesamtstrategie anzugehen. Dazu gehört einerseits die materielle Absicherung von Kindern und ihren Familien in den Blick zu nehmen, andererseits aber auch ihre Versorgung in den Bereichen Mobilität, Freizeit und soziale Teilhabe. Und auch der Schutz von Kindern vor Gewalt muss verstärkt im Blickpunkt stehen. Gerade hier ist die gesamte Gesellschaft gefordert, niemand darf beim Kinderschutz wegschauen. Kinder müssen umfassend in ihrer körperlichen und psychischen Integrität geschützt werden, vor allem durch eine gewaltfreie Erziehung. Es braucht aber auch in anderen Bereich wie dem Schutz von Kindern vor sexualisierter Gewalt außerhalb ihrer Familien verbesserte Schutzmaßnahmen, und schließlich eine nachhaltig funktionsfähige Kinder- und Jugendhilfe, die hier Anlauf- und Hilfestelle für Kinder sein muss“, so Thomas Krüger.

Die Umfrageergebnisse im Einzelnen

1. Wichtigkeit verschiedener Aspekte für eine kinderfreundliche Gesellschaft

Fast alle Befragten (99 Prozent) sind der Meinung, dass der Schutz von Kindern vor Gewalt für eine kinderfreundliche Gesellschaft sehr wichtig oder wichtig ist. 95 Prozent betrachten ausreichende Spiel- und Freizeitmöglichkeiten für Kinder als sehr wichtig oder wichtig für eine kinderfreundliche Gesellschaft. Dass die Interessen von Kindern auch in Krisenzeiten, wie zum Beispiel in der Corona-Krise, berücksichtigt werden, halten 92 Prozent für (sehr) wichtig, 90 Prozent finden die Unterstützung von Familien mit Kindern (z.B. finanziell oder durch eine gute Vereinbarkeit von Beruf und Familie) (sehr) wichtig. Für 86 Prozent ist es sehr wichtig oder wichtig, dass sich Politiker genügend um die Bekämpfung von Kinderarmut kümmern, für ebenfalls 86 Prozent ist selbstbestimmte Zeit und ausreichend Erholung für Kinder (sehr) wichtig.

83 Prozent sagen dies über die Berücksichtigung der Bedürfnisse von Kindern im Alltag (zum Beispiel in der Öffentlichkeit, im Restaurant, in der Nachbarschaft etc.). 74 Prozent der Befragten halten es für eine kinderfreundliche Gesellschaft für (sehr) wichtig, dass man sich in Deutschland gut um Kinder aus Flüchtlingsfamilien kümmert. Dass Kinder bei Angelegenheiten mitbestimmen dürfen, die sie selbst betreffen, finden 62 Prozent der Befragten (sehr) wichtig.

2. Umsetzungsgrad verschiedener Aspekte für eine kinderfreundliche Gesellschaft

Vergleichsweise am häufigsten sehen die Befragten ausreichende Spiel- und Freizeitmöglichkeiten für Kinder (46 Prozent), selbstbestimmte Zeit und ausreichend Erholung für Kinder (40 Prozent) sowie die Berücksichtigung der Bedürfnisse von Kindern im Alltag (38 Prozent) als sehr gut oder gut erfüllt an.

Lediglich rund ein Drittel der Befragten hält die Punkte Unterstützung von Familien mit Kindern (36 Prozent) und das Kümmern um Kinder aus Flüchtlingsfamilien (34 Prozent) in Deutschland für (sehr) gut erfüllt.

Nur jeweils etwa ein Viertel meint, dass die Punkte Schutz der Kinder vor Gewalt (28 Prozent) sowie Mitbestimmung von Kindern (25 Prozent) sehr gut oder gut erfüllt sind. Dass Kinderinteressen auch in Krisenzeiten wie zum Beispiel in der Corona-Krise berücksichtigt werden, meinen nur 17 Prozent der Befragten und nur 15 Prozent sind der Ansicht, dass Politiker sich genügend um die Bekämpfung von Kinderarmut kümmern.

3. Diskrepanzen zwischen „Soll“- und „Ist“-Zustand

Alle abgefragten Aspekte werden von der großen Mehrheit der Befragten als (sehr) wichtig für eine kinderfreundliche Gesellschaft erachtet – dass sie gegenwärtig in Deutschland auch (sehr) gut erfüllt sind, meint hingegen weniger als die Hälfte der Befragten.

Die größten Diskrepanzen zwischen der Bedeutung der Aspekte für ein kinderfreundliches Land und ihrem wahrgenommenen Erfüllungsgrad zeigen sich hinsichtlich der Berücksichtigung der Kinderinteressen in Krisenzeiten (minus 75 Prozentpunkte), der Bekämpfung von Kinderarmut (minus 71 Prozentpunkte), dem Schutz der Kinder vor Gewalt (minus 71 Prozentpunkte) sowie der Unterstützung von Familien mit Kindern (minus 54 Prozentpunkte).

Große Diskrepanzen zwischen der Bedeutung der Aspekte für ein kinderfreundliches Land und ihrem wahrgenommenen Erfüllungsgrad zeigen sich aber auch bei den Fragen hinsichtlich ausreichender Spiel- und Freizeitmöglichkeiten für Kinder (Diskrepanz von 49 Prozentpunkten), hinsichtlich selbstbestimmter Zeit und ausreichender Erholung für Kinder (Diskrepanz von 46 Prozentpunkten) und der Berücksichtigung der Kinderbedürfnisse im Alltag (Diskrepanz 45 Prozentpunkte). Das gilt auch bei der Frage, ob man sich in Deutschland gut um Kinder aus Flüchtlingsfamilien kümmert (Diskrepanz von 40 Prozentpunkten) und bei der Mitbestimmung von Kindern, wenn es um Angelegenheiten geht, die sie betreffen (Diskrepanz von 37 Prozentpunkten).

4. Ist Deutschland ein kinderfreundliches Land?

Mit nur 48 Prozent sind weniger als die Hälfte der Befragten der Meinung, dass Deutschland ein kinderfreundliches Land ist. Nach dem Urteil von 43 Prozent ist Deutschland alles in allem kein kinderfreundliches Land. Damit fällt der Anteil derjenigen, die Deutschland als kinderfreundliches Land einschätzen, geringer aus als 2015 und 2018. Damals waren noch 58 Prozent bzw. 56 Prozent der Meinung, dass Deutschland ein kinderfreundliches Land ist.

Jüngere meinen wesentlich häufiger als Ältere (76 Prozent der 18- bis 29-Jährigen zu 26 Prozent der über 60-Jährigen), Westdeutsche häufiger als Ostdeutsche (50 Prozent zu 38 Prozent) und Männer häufiger als Frauen (53 Prozent zu 43 Prozent), dass Deutschland alles in allem ein kinderfreundliches Land ist.

Auch entlang der Parteipräferenzen zeigen sich statistisch signifikante Auffälligkeiten. So halten 77 Prozent der Anhängerinnen und Anhänger der Unionsparteien und 61 Prozent der FDP- Anhängerinnen und Anhänger Deutschland für ein kinderfreundliches Land. Deutlich geringere Zustimmungswerte sind im Lager der SPD (44 Prozent), der AfD (40 Prozent) sowie der Linken (39 Prozent) und der Grünen (38 Prozent) zu verzeichnen.

Für die repräsentative Umfrage zur Kinderfreundlichkeit in Deutschland wurden vom Politik- und Sozialforschungsinstitut Forsa im Auftrag des Deutschen Kinderhilfswerkes im Januar 2022 deutschlandweit 1.004 wahlberechtigte Personen ab 18 Jahren befragt. Die statistische Fehlertoleranz liegt zwischen bei +/- drei Prozentpunkten.

Weitere Ergebnisse der Umfrage und Grafiken können unter dkhw.de/Umfrage-Kinderfreundlichkeit-2022 heruntergeladen werden.

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Das Deutsche Kinderhilfswerk e.V. setzt sich seit 50 Jahren für die Rechte von Kindern in Deutschland ein. Die Überwindung von Kinderarmut und die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen an allen sie betreffenden Angelegenheiten stehen im Mittelpunkt der Arbeit als Kinderrechtsorganisation. Der gemeinnützige Verein finanziert sich überwiegend aus privaten Spenden, dafür stehen seine Spendendosen an ca. 40.000 Standorten in Deutschland. Das Deutsche Kinderhilfswerk initiiert und unterstützt Maßnahmen und Projekte, die die Teilhabe von Kindern und Jugendlichen, unabhängig von deren Herkunft oder Aufenthaltsstatus, fördern. Die politische Lobbyarbeit wirkt auf die vollständige Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention in Deutschland hin, insbesondere im Bereich der Mitbestimmung von Kindern, ihren Interessen bei Gesetzgebungs- und Verwaltungsmaßnahmen sowie der Überwindung von Kinderarmut und gleichberechtigten gesellschaftlichen Teilhabe aller Kinder in Deutschland.

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